Gefäß, Glasur lebhaft braun, Höhe 30 cm. Besitzer Herr Johs. In-
gerslev, Kopenhagen.
Vorratsflasche, vierseitig abgeplattet, Glasur tief dunkelbrau n, Höhe
55 cm. Besitzer Herr v. Garvens, Bornholm.
gab, Jahrhunderte hindurch im Töpferhandwerk tätig. Denken
wir einmal durch, was das bedeutet! Jede Familie muß Material
und Werkzeuge dieses Handwerks gekannt haben. In jeder
Familie gab es einen oder mehrere Töpfer. Jeder Mensch in
einem solchen Ort muß Sachverständiger, muß Kenner dieses
Handwerks gewesen sein. Jedes Kind muß von Jugend auf
über dieses Handwerk und alles, was dazu gehört, Bescheid
gewußt haben. Jedes Kind hat von frühester Jugend an Töpfe
und immer wieder Töpfe gesehen. Welch unbewußte Schärfung
des Blickes, welche Fülle von Anschauung, welches Unter-
scheidungsvermögen mußte zwangsläufig Gemeingut eines
solchen Ortes werden.
Welchen Vorsprung hatte ein Töpferlehrling solcher Herkunft
vor jedem Städter, der heute etwa Töpfer werden wollte.
Gar nicht auszudenken, was er vorab alles wußte. Und dann
_ welche Lehrmeister! Durch Jahrhunderte geschulte Augen
und Hände, deren besondere Fähigkeiten sicher vererblich
wurden, durch Jahrhunderte erprobte Methoden und Regeln
standen jeder neuen Generation zur Verfügung. Die Atmo-
sphäre eines solchen Ortes gibt eigentlich die Lösung dieses
Rätsels — allerdings gibt sie neue Rätsel auf.
Diese Hochqualifiziertheit beschränkt sich nämlich ganz aus-
schließlich auf die bescheidenste Gebrauchstöpferei. Daneben
gab es, in derselben Atmosphäre entstanden, zurückzuver-
folgen dank der Sammeltätigkeit des Museums durch etwa
200 Jahre, gleichzeitig auch Kunsttöpfereien, die den Anschluß
an alle Stile gefunden haben. An ihnen sind technische und
Materialqualitäten und manchmal eine erhebliche Kunstfertig-
keit zu rühmen, aber von Geschmack kann kaum die Rede
sein — von Form schon gar nicht. Es sind typische Erzeugnisse
handwerklichen Höherhinauswollens, wie wir sie aus allen
Gebieten und Zeiten zur Genüge kennen — imitativ, provin-
ziell, Produkte verschiedenster Einflüsse von außen her, mit der
Uneinheitlichkeit, die Folge des Kunststrebens mit unzulänglichen
Mitteln zu sein pflegt. Heute arbeiten die Rönner Fabriken
auch noch Gebrauchsgeschirr von sehr anständigem Durch-
schnitt, wenn auch nicht mehr von künstlerischer Höhe, in der
Hauptsache allerdings kunstgewerblich auffrisierte Massen-
ware, in deren Bemalung üble expressionistische Konfektions-
muster, die dort zur Zeit als modern gelten, ihren Nieder-
schlag finden.
Die Lehre hieraus scheint mir mehr denn je festzustehen:
Jeder Versuch, auf handwerklichem Gebiet mehr zu wollen als
man kann, jeder Versuch irgendeine Stufe der allmählichen
Vervollkommnung dadurch zu überspringen, daß Motive oder
Formanregungen oder Arbeitsmethoden von außen her fertig
übernommen werden, muß scheitern. Handfertigkeit einerseits
und anschauliche Erfassung als Frucht klarer Beobachtungs-
fähigkeit andererseits dürfen und können nicht getrennt
von einander entwickelt werden, wenn sie zum Ziele führen
sollen. Ist ihr Zusammenwirken gewährleistet, wird Höchst-
leistung nur noch von Intelligenz und Fleiß abhängen. Und
immer ist nur ein schrittweises Vorgehen — nur eine genau
parallel gehende Entwickelung von Handfertigkeit und An-
schauung fruchtbar. Form kann nicht erfunden — sie kann
nur entwickelt werden!
370
gerslev, Kopenhagen.
Vorratsflasche, vierseitig abgeplattet, Glasur tief dunkelbrau n, Höhe
55 cm. Besitzer Herr v. Garvens, Bornholm.
gab, Jahrhunderte hindurch im Töpferhandwerk tätig. Denken
wir einmal durch, was das bedeutet! Jede Familie muß Material
und Werkzeuge dieses Handwerks gekannt haben. In jeder
Familie gab es einen oder mehrere Töpfer. Jeder Mensch in
einem solchen Ort muß Sachverständiger, muß Kenner dieses
Handwerks gewesen sein. Jedes Kind muß von Jugend auf
über dieses Handwerk und alles, was dazu gehört, Bescheid
gewußt haben. Jedes Kind hat von frühester Jugend an Töpfe
und immer wieder Töpfe gesehen. Welch unbewußte Schärfung
des Blickes, welche Fülle von Anschauung, welches Unter-
scheidungsvermögen mußte zwangsläufig Gemeingut eines
solchen Ortes werden.
Welchen Vorsprung hatte ein Töpferlehrling solcher Herkunft
vor jedem Städter, der heute etwa Töpfer werden wollte.
Gar nicht auszudenken, was er vorab alles wußte. Und dann
_ welche Lehrmeister! Durch Jahrhunderte geschulte Augen
und Hände, deren besondere Fähigkeiten sicher vererblich
wurden, durch Jahrhunderte erprobte Methoden und Regeln
standen jeder neuen Generation zur Verfügung. Die Atmo-
sphäre eines solchen Ortes gibt eigentlich die Lösung dieses
Rätsels — allerdings gibt sie neue Rätsel auf.
Diese Hochqualifiziertheit beschränkt sich nämlich ganz aus-
schließlich auf die bescheidenste Gebrauchstöpferei. Daneben
gab es, in derselben Atmosphäre entstanden, zurückzuver-
folgen dank der Sammeltätigkeit des Museums durch etwa
200 Jahre, gleichzeitig auch Kunsttöpfereien, die den Anschluß
an alle Stile gefunden haben. An ihnen sind technische und
Materialqualitäten und manchmal eine erhebliche Kunstfertig-
keit zu rühmen, aber von Geschmack kann kaum die Rede
sein — von Form schon gar nicht. Es sind typische Erzeugnisse
handwerklichen Höherhinauswollens, wie wir sie aus allen
Gebieten und Zeiten zur Genüge kennen — imitativ, provin-
ziell, Produkte verschiedenster Einflüsse von außen her, mit der
Uneinheitlichkeit, die Folge des Kunststrebens mit unzulänglichen
Mitteln zu sein pflegt. Heute arbeiten die Rönner Fabriken
auch noch Gebrauchsgeschirr von sehr anständigem Durch-
schnitt, wenn auch nicht mehr von künstlerischer Höhe, in der
Hauptsache allerdings kunstgewerblich auffrisierte Massen-
ware, in deren Bemalung üble expressionistische Konfektions-
muster, die dort zur Zeit als modern gelten, ihren Nieder-
schlag finden.
Die Lehre hieraus scheint mir mehr denn je festzustehen:
Jeder Versuch, auf handwerklichem Gebiet mehr zu wollen als
man kann, jeder Versuch irgendeine Stufe der allmählichen
Vervollkommnung dadurch zu überspringen, daß Motive oder
Formanregungen oder Arbeitsmethoden von außen her fertig
übernommen werden, muß scheitern. Handfertigkeit einerseits
und anschauliche Erfassung als Frucht klarer Beobachtungs-
fähigkeit andererseits dürfen und können nicht getrennt
von einander entwickelt werden, wenn sie zum Ziele führen
sollen. Ist ihr Zusammenwirken gewährleistet, wird Höchst-
leistung nur noch von Intelligenz und Fleiß abhängen. Und
immer ist nur ein schrittweises Vorgehen — nur eine genau
parallel gehende Entwickelung von Handfertigkeit und An-
schauung fruchtbar. Form kann nicht erfunden — sie kann
nur entwickelt werden!
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