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Gegenbaur, Carl
Grundzüge der vergleichenden Anatomie — Leipzig, 1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.15089#0060

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B. Von den Organen.

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B. Von den Organen.

§ 22.

Der Begriff des Organs kann in sehr verschiedener Weise gefasst wer-
den, je nachdem man die Leistungen, also die physiologische Seite, oder die
Beziehung zur Zusammensetzung , und somit die morphologische Seite im
Auge hat. In physiologischem Sinne werden wir als Organ einen Körpertheil
bezeichnen, der eine besondere Leistung für den,Organismus vollzieht. Je
nach dem Umfange der Leistung und ihrer Spaltungsfähigkeit in einzelne
Verrichtungen wird der Begriff des Organs ein sehr verschiedener sein. Aber
auch in morphologischem Sinne ergibt sich für den Organbegriff ein hoher
Grad von Wandelbarkeit, da man hier das Organ auf den Thierleib beziehen
muss, der wieder in seinem Werthe als Einzelwesen bedeutende Verschieden-
heiten darbietet. Im Allgemeinen wird uns als Organ im anatomischen Sinne
ein räumlich abgegrenzter, aus einer bestimmten Summe von Formelementen
zusammengesetzter Theil des Organismus sich darstellen.

Aus dem Verhalten der Formelemente und der von ihnen zusammen-
gesetzten Gewebe resultiren wieder verschiedene Abstufungen. Bei Zusam-
mensetzung; von gleichartigen Formelementen wird das Organ einfacher
erscheinen, und im andern Falle, bei der Verwendung verschiedenartiger
Gewebselemente zusammengesetzter, complicirter, sich darstellen. Je nach
der Anzahl der in Verwendung kommenden Gewebe und nach der Art ihrer
gegenseitigen Verbindung wird die Complication mannichfaltig gesteigert oder
modificirt. Eine andere Verschiedenheit tritt auf durch Wiederholung einer
und derselben Einrichtung, wodurch sowohl die Volumszunahme des Organs
als auch mit dieser eine Verbreitung im Organismus bewirkt wird.

Eine Summe von gleichartig gebauten, wenn auch nicht immer unmit-
telbar zusammenhängenden Einzelorganen stellt ein Organsystem vor.
Aus einer Summe anatomisch untereinander zusammenhängender Einzel-
organe geht eine höhere Kategorie von Organen hervor, die als Organ-
apparate oder Organcomplexe aufgefasst werden, wenn die Einzelorgane
von einander verschieden gebaut sind.

Für das Versländniss des Organbegriffes ist die Orientirung über die Frage nach der
Individualität von grössler Wichtigkeit, eine Frage , die dem mit nur wenigen For-
men Vertrauten vielleicht überflüssig oder doch leicht zu beantworten erscheint, indess
bei einiger Kenntniss der Mannichfaltigkeit thierischer Lebensformen gerade als das
Gegentheil davon sich herausstellt. In den trefflichen Auseinandersetzungen, die Hackel
(Generelle Morphologie I. S.241) in der alsTectologie bezeichneten allgemeinen Structur-
lehre gegeben hat, finden wir die Grundlagen für die wissenschaftliche Behandlung dieses
Stoffes , die wir hier folgen lassen. Das Individuum kann entweder als physiologisches
oder als morphologisches betrachtet werden. Das erstere stellt eine einheitliche Form-
erscheinung dar, welche kürzere oder längere Zeit eine selbständige Existenz zu führen
vermag, die sich in der allgemeinsten organischen Function, der Selbsterhaltung äussert.
Als morphologisches Individuum dagegen fassen wir jene einheitliche Form-
erscheinung, die ein in sich abgeschlossenes, continuirlich zusammenhängendes Ganze
 
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