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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 29.1918

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Widmer, Karl: Über das Gastzimmer
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https://doi.org/10.11588/diglit.10022#0271

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INNEN-DEKORATION

255

des Gastzimmers im Privathaus mit dem im Gasthaus in
vielen Dingen Hand in Hand. Das Gasthaus hat im allge-
meinen die Führung dabei. Der Komfort, den der Geschäfts-
kampf im modernen Hotel entwickelt hat, verwöhnt die
Ansprüche und überträgt sich damit auch auf das Wohn-
haus. Das bezieht sich sowohl auf die allgemeine Anlage
und Einrichtung der Gastzimmer wie auf viele Einzelheiten
ihrer technischen und praktischen Vervollkommnung: Dinge,
wie z. B. die elektrische Leselampe beim Bett. Und doch
liegt diese Ubereinstimmung mehr im Äußern. Im Wesen
der Sache liegt noch ein großer Unterschied. Das Hotel-
zimmer — gerade das typische moderne — hat immer etwas
Unpersönliches. Das hängt mit dem ganzen Geist des mo-
dernen Reisewesens zusammen. Die Gastfreundschaft da-
gegen ist persönlicher Natur. Und das soll sich auch der
Stimmung des Gastzimmers mitteilen. Jene geschäftsmäßige
Sachlichkeit, die im modernen Hotelzimmer in gewissem
Sinn das mustergültige ist, wäre hier am falschen Platz.
Der Gast soll in seinem Zimmer etwas vom persönlichen
Geist des Hauses spüren; ein Hauch vom warmen Atem
des Familienlebens soll es durchdringen. Es ist jenes Un-
definierbare, in dem sich der Einfluß der waltenden Haus-
frau in hundert Kleinigkeiten verrät. Das ist ein Vorzug, der
auch dem bescheidensten Gastzimmer im einfachen Bürger-
haus seinen Reiz und seine Behaglichkeit verleihen kann
und der durch keinen Glanz und Luxus zu ersetzen ist. —

*

Die so oft gehörte Behauptung, die neuere Kunstauffassung
gestalte lediglich nach dem Zweck, dem Material und der
Konstruktion, muß ausdrücklich bekämpft werden, muthesius.

HOLZLATERNE. tNTW.U.ÄUSF: A. BEMBE-MAINZ

eine eigene Form entwickelt, die auch bei anderen Zimmern,
z. B. beim sogenannten Tochterzimmer, wiederkehrt.

Eine weitere Verfeinerung der Ansprüche führt schließ-
lich zur Teilung des Gastzimmers in mehrere Zimmer. Ein
Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, das durch ein Ankleide-
zimmer erweitert werden kann, und das Badezimmer mit
dem Klosett bilden dann jeweils eine geschlossene Zimmer-
gruppe. Aus dem Gastzimmer ist die Gastwohnung
geworden. — Uber die Zahl der Gastzimmer, die in einem
Hause nötig sind, läßt sich natürlich keine Regel aufstellen.
Sie richtet sich nach der sozialen Stellung und den geselligen
Ansprüchen des Besitzers. Wo regelmäßiger Besuch von
nahen Verwandten, von verheirateten Söhnen und Töchtern
usw. zu erwarten ist, müssen auch dafür besondere Zimmer
vorgesehen werden. Im allgemeinen werden die Gasträume,
wie die Schlafzimmer im oberen Stockwerk des Hauses,
unter Umständen auch im Dachgeschoß untergebracht.
Zweckmäßigerweise werden sie immer im gleichen Teil des
Stockwerks zusammengelegt und von den Schlafzimmern
der Familienmitglieder oder — wenn sie im Dachraum liegen,
der Dienstboten — durch einen Flur vollständig abgetrennt.
Das erhöht für die Gäste das Gefühl der Unabhängigkeit.
Auch die einzelnen Gastzimmergruppen werden wieder
durch besondere Gänge von einander abgeteilt. Wo die
Gastfreundschaft im ganz großen Stil betrieben wird, kann
dafür auch ein besonderer Gastflügel angebaut werden. Und
auf großen Landsitzen findet man heute sogar schon den
eigenen Gastbau. — Wie man sieht, geht die Entwicklung

HOLZLATERNE. ENTWUFF U. AUSF: A. BEMBE—MAINZ

1918. IX. 3.
 
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