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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Grosse, Julius: Selfmademen, [3]: Genrebilder aus dem Künstlerleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0112

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Selfmademen

gesucht schienen. Er war nicht nur Maler und Plastiker
und Architekt — er betrieb auch die Kunstgärtnerei und
Mechanik aller Art. Er richtete Theater ein, schuf Wasser-
leitungen, legte Parks und Landstraßen an, baute Villen,
Kapellen und sogar Schiffe, kurz, für dies vielseitige
Genie gab es keinerlei Grenzen, auch keinerlei sonstige
Leidenschaft — eine einzige ausgenommen. —

„Kennen gelernt hatte ich ihn nämlich beim Kegeln,
wo er dank seiner ungeheuren Hand allzeit Sieger blieb.
Diese Leidenschaft war es, die ihn beherrschte und zwar
bis zur unerhörten Komik. Einmal wollten wir einen
Ausflug auf den Wald machen — wir und noch sieben
oder acht andre. Am ersten Tage kamen wir bis zu
einem abgelegenen kleinen Dorfe, wo sich ein elendes
Wirtshaus befand — das aber außer vortrefflichstem
Bier auch eine prachtvolle Kegelbahn bot.

„Am nämlichen Abend noch kegelten wir bis spät
in die Nacht hinein, am nächsten Morgen marschierte ich
mit dem größeren Teil voraus, aber die anderen kamen
nicht nach; als wir nach vierzehn Tagen wieder zurück-
kehrten, kegelte Hanuschka mit seinen Getreuen noch un-
unterbrochen weiter. Er hatte die ganzen vierzehn Tage
dort ausgehalten. Das war sein Sommerausflug gewesen.

„Uber seine Vergangenheit gingen seltsame Sagen
und abenteuerliche Gerüchte, die mehr geflüstert als laut
gesprochen wurden. Es hieß, er sei der natürliche Sohn
eines österreichischen Reichsgrafen — nicht etwa eines
Fürsten, nein ich wiederhole es — eines bekannten Grafen,
der durch seine Liebesabenteuer in aller Herren Länder
einen romantischen Namen sich erworben hatte. Als solcher
Sprößling — nach Shakespeare's Wort erzeugt im heißen
Diebstahl der Natur, habe er — so hieß es — nicht
bloß einflußreiche hochstehende Verwandte, sondern auch
speziell einen vornehmen Bruder, sei aber sonst draußen
inkognito bei kleinen Leuten erzogen worden, die ihn zu
einem Handwerker in die Lehre thaten.

„Dort liest der lange Kasimir eines Tages in der
Zeitung, daß ein berühmter Dekorationsmaler in Stutt-
gart einen Gehülfen suche.

„Ei, denkt er, das wirst du auch können, schnürt
sein Bündel und brennt bei Nacht und Nebel durch, um
zu Fuß nach Stuttgart zu marschieren. Nach ein paar
Tagen dort angekommeu, meldet er sich bei dem berühmten
Maler und wird, obschon seine Zeugnisse angeblich ver-
lorengegangen, dennoch angenommen und eingestellt.

„Nach etwa einer Woche läßt ihn der Meister kommen,
sieht ihn eine Weile kopfschüttelnd an und sagt — Hören
Sie Bursch — Sie haben mich betrogen, Sie sind ja
kaum Lehrling — aber Sie scheinen Talent zu haben,
ich will Sie behalten.

„Und so behielt er ihn. Binnen drei Jahren über-
flügelte der lange Kasimir seinen Meister bereits, und
nach fünf Jahren hatte er sich selbst einen so bedeutenden
Namen in seinem Fach erworben, daß er an ein berühmtes
Hoftheater berufen wurde. Von dort ist er später zu
uns gekommen.

„So weit seine Vergangenheit bis vor acht oder
nenn Jahren. Die Hauptsache darin ist so einfach und
zusammenhängend, daß von Übertreibung oder Beschönigung
oder Reklame dabei keine Rede sein kann, wenn auch wie
gesagt, die Familiengeschichte und der größte Teil der
Jugendjahre dunkel blieb. Seine äußerliche Stellung hier
galt nur der Dekorationsmalerei, aber diese betrieb er

wirklich nur als Nebensache in spielender genialer Art —
das eigentliche Handwerk dabei ließ er seinen Schülern.

„Sein Hauptfach wurde bald die Architektnrmalerei,
dann auch Kunstgärtnerei und Villenbau im großen Stil
— Gott weiß, wo er das Alles gelernt hat. Aber er-
halte unglaubliches Glück in allein, was er begann und
eine Vielseitigkeit, geradezu von unbegreiflicher Art. Seine
kleinen Interieurs waren bald ebenso berühmt und gesucht,
wie seine großen Entwürfe von Fantasiebauten und
Fantasieanlagen. Sein Genie war in allen Fächern zu
Hause, und wenn die erfahrensten Architekten sich irgendwie
festgerannt — beim langen Kasimir fand sich allezeit
Auskunft. So ists gekommen, daß er sich sehr rasch,
zuerst uuter den Wissenden, nachher in immer weiteren
Kreisen einen Namen errang.

„In jener Zeit also lernte ich ihn in G. kennen,
und ich kann wohl sagen, daß wir sehr bald intime
Freunde wurden.

„Wohl manchmal suchte ich bei passender Gelegenheit
auf seine Vergangenheit zu kommen und ihn zu offener
Mitteilung zu veranlassen. Er aber wich immer aus,
ja es schien mir oft, als laste irgend eine schwere Sorge,
ein verschwiegenes Herzeleid auf ihn, auch bemerkte ich,
daß er einen geheimnisvollen Briefwechsel führte, dem
ich es zuschrieb, daß er an manchen Tagen zerstreut und
bedrückt, ja zuweilen völlig unzurechnungsfähig und geistes-
abwesend erschien. Nur beim Kegeln, wenn er sein Leid
gleichsam austoben konnte in gewaltiger Krastanstrengung,
kam er wieder zu sich und war der liebenswürdigste,
umgänglichste Gesellschafter.

„Ob ich nicht Zeit hätte zu einer kleinen Reise in
eine benachbarte Großstadt. Es handle sich um eine
wichtige Lebensfrage für ihn — er brauche meinen Rat
und wisse sich nicht zu helfen in so verwickelten und
außerordentlichen Lebensverhältnissen.

„Da gerade Meßzeit, auch hinreichende Mittel vor-
handen waren, sagte ich zu und so setzten wir die Ab-
reise auf den Schnellzug fest, der Nachmittags ging. Ich
selber holte ihn aus seiner Wohnung ab. Da — im
letzten Augenblick, als wir schon die Schwelle der Haus-
thür überschritten hatten, kommt der Briefträger mit einem
Brief. Hanuschka sieht den Poststempel an, macht ein
verdrießliches Gesicht und steckt den Brief ungelesen in
die Tasche.

„Dann ging es vorwärts. Unterwegs endlich, da
wir in einem Coupe allein waren, erzählte er mir zum
erstenmale von seiner Familiengeschichte — allerdings nur
das Oberflächlichste. Im Wesentlichen lief es darauf
hinaus, was ich schon wußte.

„Er war wirklich ein Abkömmling eines hochgräf-
lichcn Herrn, aber ohne alle Ansprüche. Seine Mutter,
die längst verstorben, war ein für allemal abgefunden
worden.

„Nun aber hatte er einen Namen errungen, der im
letzten Jahre wiederholt in den Zeitungen genannt wor-
den war, so daß sich endlich auch die Aufmerksamkeit jener
gräflichen Familie auf ihn richtete. Das heißt der jetzige
Stammhalter, Graf Wilderich, ein noch junger lebens-
lustiger Herr, in Wirklichkeit also sein Stiefbruder, hatte
plötzlich an ihn geschrieben und sich mit ihm in Verbin-
dung gesetzt.

ü: „Casimir Hanuschka zeigte mir eine ganze Hand von
solcher Briefe.
 
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