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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Lang, Heinrich: In Nancy am 16. August 1870: aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0203

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Aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers, von Heinrich Lang

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Handlungen über eine der Stadt vom deutschen Ober-
kommando auferlegte Kontribution — das sind schon
„schweißtreibende" Mittel: etwa 60,000 Paar Stiefel
oder 100,000 Rationen Hafer und dazu noch ein oder
das andre Milliönchen in baar u. s. w.,*) wie diese
freundschaftlichen Abmachungen gewöhnlich forniuliert zu
werden pflegen!

Selbst ein kompletter Laie in inilitaribus konnte hier
einen Begriff bekommen, was es heißt, auch nur eine
Division mit allem Nötigen für heute und morgen zu
versehen: dazu genügte ein Blick auf den riesigen Platz.
Das wirbelte und wogte, schob und drängte, klemmte und
stockte von hochbeladenen Fuhrwerken aller Art, vom regel-
mäßig adjustierten Proviantwagen bis zum requirierten
schweren französischen Weinkarrcn mit seiner riesigen Winde,
gegen welche die wohl aus der Heimat schon mitgezogenen
schwäbischen und pfälzischen Bauernwägen einen fast ängsti-
genden Eindruck machten — denn in diesem Tumult
werden sie von jenen Kolossen höchst wahrscheinlich zer-
quetscht werden! Unbegreiflich, wie dazwischen noch ein-
zelne zum „Fassen" herbeirückende Abteilungen sich durch-
winden und Platz finden können.

Ah, da kommen auch Kürassiere — unser erstes
Korps kann also nicht weit weg sein! Mir ganz er-
wünscht, haben sie findiger Weise das Trottoir als ihren
Sammelplatz erkoren, die hübschen Gruppen der aufge-
packten Pferde und abgesessenen Reiter, welch letztere an
Weinmangel schwerlich zu Grunde gehen dürften — wie
mir vorkomnit — bilden in meiner nächsten Nähe die
besten Motive und als in der Ecke gegenüber an der
reizenden kastanienbeschatteten Fontäne weiße preußische
Kürassiere ihre Rosse tränken, dazu noch vom Triumph-
bogen her eine geschlossene Abteilung Preußischer Infan-
terie auf den Platz hereinrückt, könnte ich mir ganz gut
denken, daß sich die armen Ranziger den Kopf halten und
seufzen — „will denn das gar nicht enden!" Mein
Gott, liebe Leute, das ist ja alles erst der Anfang —
jetzt ist noch genug da, unsre Soldaten sind noch munter
und lustig, das Wetter ist gut — und für euch selbst ist
trotz aller Schwulitäten doch noch der Reiz der Neuheit
von einer gewissen mildernden Wirkung! Das kann alles
noch viel, viel schlimmer kommen, heute geht's ja noch
ganz regelmäßig „wie am Schnürchen".

Unter diesen Gedanken und Beobachtungen arbeite
ich ruhig weiter, bis die Dämmerung hereinbricht — wir
sind also nicht allarmiert worden, so wird's drüben gut
stehen. Näheres erfahre ich wohl im Offizierscafe vorn
an der Ecke, wo ich auch die Herren ziemlich vollzählig
beim „Schwarzen" treffe. Eine genaue Nachricht sei noch
nicht da — der Kronprinz nachmittags weggeritten, man
warte jeden Augenblick auf seine Rückkehr und wolle
hinüber ins Hotel de France. „Da werden Sie auch
Bleibtreu treffen, anaice" ries Oberleutnant Hartmann und
faßte mich unter dem Arm. Im hellerleuchtcten Thor-
wege dasselbe Getümmel wie gestern.

*s War alles nicht so schlimm, als man dachte: eine ur-
sprünglich der Stadt auferlegte Kontribution von nur 50,000 Franks
soll der Kronprinz in Gnaden erlassen haben.

„Hier bringe ich Ihnen den Kollegen, Herr Pro-
fessor", ruft Hartmann unter das Menschen-Chaos hinein
— ich suche mit den Augen eine Hünengestalt, eine min-
destens martialische Zivil-Erscheinung, denn nach seiner
breiten, energischen, fast wilden Art zu malen, erwartete
ich in Bleibtreu einen Recken kennen zu lernen und war
fast verblüfft, als unter den stattlichen Kriegergestalten sich
eine zierliche, feine Figur mit einem breiten Schlapphut
hervordrängte und mir die Hand schüttelte. In liebens-
würdigster Weise begrüßte mich der damals schon hoch-
bedeutende Meister und als er mit glänzenden Augen
gleich von seinen herrlichen Eindrücken bei Wörth rc. zu
schwärmen anfing und mit verständnisvollem Schmunzeln
den Ausdruck meines Entzückens über die Vogesenmärsche
entgegennahm, vertieften wir uns nachgerade in ein so
lebhaftes fachliches Gespräch, daß ich darüber die Gelegen-
heit versäumte, die übrigen bedeutenden Männer aus des
Kronprinzen Stabe von Angesicht zu Angesicht kennen zu
lernen, denn erst des hohen Führers Rückkehr endete unsre
eifrigen gegenseitigen Mitteilungen.

Der Kronprinz! Es war wirklich eine Freude, den
herrlichen Mann nur anzusehen, das Bild kräftiger un-
bewußter Schönheit, so frei und gut sein Blick, so frisch
und ungezwungen jede Bewegung und der sonore, sym-
pathische Klang seiner Stimme, als er abgesessen war und
mit den Worten hereintrat: „Na, Gottlob, es ist jut ge-
gangen". Es waren die ersten Worte, welche uns, aus
seinem Munde kommend, die Siegesbotschaft von Metz
definitiv bestätigten, und des Jubels war kein Ende.

„Na, warten Sie nur", sagte Oberleutnant Stein-
metz später, „morgen kann es für uns auch wieder leb-
haft werden. Wir müssen an Toul vorbei, Hartmann
will zwar den Kommandanten einschüchtern und ihm ein
Kompromiß Vorschlägen — aber ich glaube, es wird dies-
mal eher gehen, wie vor Bitsch, als wie neulich mit Marsal
und das Terrain ist verteufelt günstig für die Franzosen.
Wir vom Genie müssen die Festung rekognoszieren und
eine Brücke schlagen — wenn sie uns dabei in Frieden
lassen, so will ich" . . . was ich im Straßenlärm noch
vom Hofbräuhauskeller, Ewigkeit und verfluchten Fran-
zosen ahnend ausschnappen konnte, wird hoffentlich kein
Schwur gewesen sein, denn wir passierten nach zwei
Tagen die Mosel allerdings unter sehr bedeutenden Müh-
seligkeiten, aber vom Feinde unbelästigt. Vorderhand war
aber noch ein herrliches Nachtquartier zu genießen, keine
der geringsten Annehmlichkeiten von Nancy, unter welchen
auch ein erquickendes Bad nicht unerwähnt bleiben darf.

Ja, in einem Kriege gewinnen gar viele uns sonst
so selbstverständliche Dinge eine früher ungeahnte Be-
deutung und Wichtigkeit! Diesen unumstößlichen Satz in
seinen unzähligen Anwendungen Freund Dempwolff ein-
zuprägen, schien mir eine der Hauptaufgaben zur Er-
füllung von General Hartmanns Wunsch, unserm neuen
Kameraden über seine jetzige Stellung nach jeder Richtung
hin durch praktische Winke eine klare Übersicht zu ver-
schaffen. Schon im nächsten Quartier, Gondreville, einem
von Nancy nicht sehr entfernten, aber der Festung Toul
etwas nahegelegenen Ort, war Gelegenheit genug, Feld-
mäßiges zu betonen.

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