Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

DOI Artikel:
Brandes, Otto: Pariser Briefe
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0222

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
pariser Briefe. ^Von Btto Brandes

t-o

dieser Weise ^auf sich wirken läßt. Wenn ich schließlich
noch Braquemond mit seinen fein empfundenen Land-
schastsradierungen nenne, so habe ich zwar das Gebotene
nicht erschöpft, aber ich fürchte bei der Unmöglichkeit auf
technische Einzelheiten jeder der Künstler einzugehen, wozu
hier schwerlich der Ort, und ohne Reproduktionen bieten
zu können, das Interesse der Leser zu ermüden.

Mit Vergnügen konstatiere ich, daß diese von dem
Kunsthändler Durand-Ruel unternommene Ausstellung
sich der beifälligen Aufnahme der Presse und des Publi-
kums erfreut. — Es hat sich das letztere dann doch einen
freien Blick bewahrt, um zu erkennen, daß ein großer
Unterschied besteht zwischen der unpersönlichen Repro-
duktion durch die noch so vollendeten Verfahren und dem,
was der Geist ersinnt und die Hand belebt.

Die Erhaltung der Individualität, das war es auch,
was der eben .verstorbene Cabanel auf seine Fahne als
Lehrer und Meister so zahlreicher Schüler geschrieben. Die
stete Beobachtung dieses Grundsatzes bei der Ausbildung
derselben, verbunden mit seinem bedeutenden Lehrtalent,;
haben ihn für alle Zeit ein Denkmal und vielleicht ein
größeres Denkmal gesichert, als seine ruhmreiche Be-
thätigung als ausübender Künstler. Als solcher war er
ein Anhänger der alten Formeln der rLcols ckes benux
arwr, der geschickte und talentvolle Nachfolger Davids,
dessen Schüler er gewesen. Um so mehr ist es zu be-
wundern, daß er die Eigentümlichkeit jedes seiner Schüler
bis zur Skrupulosität achtete und seiner eigenen Kunst-
richtung zur Liebe niemals die geringste Parteilichkeit
beging. Zahllos ist die Reihe seiner mit Begeisterung
an ihrem Lehrer hängenden Schüler, die fast eben so viel
Celebritäten geworden sind. Auf den Marmelstein, den
man notgedrungen dem verstorbenen Akademiker wird er-
richten müssen, kann man keine bessere Ruhmesinschrist
setzen als die: Er bildete: Bastien Lepage, Benjamin
Constant, Georges Cain, Chartran, Leon Commere,
Debat-Ponsan, Francois Flameng, Moreau de Tours,
Boutet de Monvel, Besnard, Gervex u. a. Jeder der
Genannten ist eine Individualität, ist «guel^u'un, wie
man hier zu sagen Pflegt. Sie haben alles aufgegeben,
was die Akademie sie gelehrt, sie haben das charakterlose
Atelierlicht verlassen und in dem Hellen Sonnenlicht Farbe
und Leben gesucht. Eines aber ist ihnen allen gemein,
das was die Kraft des veralteten Unterrichts ausmacht,
und ihn allen Anstürmen widerstehen läßt: die auf sorg-
fältigem Studium beruhende Korrektheit der Zeichnung.
Das verdanken sie dem verstorbenen Meister. Er hat
seinen Schülern eine Summe künstlerischer Gewissenhaftig-
keit und glücklichen Könnens vererbt, die sie bei aller
Kühnheit immer in den Grenzen echt künstlerischer Be-
thätigung gehalten hat.

Er selbst folgte den Pfaden eines Abel de Pujol,
Flandrins, Picots, Coignets, Delaroches, von deren einem
er sein brillantes Kolorit, dem andern die geschickte Kom-
position, allen aber das methodisch Steife und Kalte
entlehnte. Man sollte es nicht glauben, daß dieser Mann
von zuweilen selbst unangenehm wirkender Korrektheit —
ich denke noch an seine im Salon 1887 ausgestellte
Kleopatra — dem überschäumeuder Süden entstammt.

Er ist im Jahre 1824 in Montpellier geboren und
erhielt den Römerpreis bereits im Jahre 1645 in einem
Alter, wo andre kaum ihre künstlerischen Studien beginnen.
Noch nicht 40 Jahre alt, wurde er Mitglied des Insti-

tutes und Medaillen und Ordensauszeichnungen regneten
auf ihn herab. Seine „Geburt der Venus" (1863) legte
den Grund zu seinem Ruhme. In München selbst kann
man an dem „Verlorenen Paradies", das er für den
König von Bayern malte, kontrollieren, was ich hier
über den überaus fleißigen und fruchtbaren Künstler als
Historienmaler gesagt.

Unbestritten ist seine Bedeutung auf dem Gebiete
der Porträts und namentlich des Frauenporträts.
Dreißig Jahre lang war er der berufene Maler aller
Frauenschönheiten, die über die lebensvolle Bühne der
Pariser Gesellschaft gegangen. Als liebenswürdiger Por-
trätist, wnßte er, ohne die Ähnlichkeit zu vernachlässigen,
die anmutigen Seiten seines Modelles zum Ausdruck zu
bringen. Niemand wie er, vermochte den Glanz der
Seide, die tiefen Töne des Samtes, den Reichtum einer
Toilette zu schildern. Wenn es ihm aber darum zu thun
war, so wußte er auch durch Kraft und Solidität sich
Achtung und Anerkennung zu schaffen. Meisterhaft waren
steine im Salon 1886 ausgestellten Bilder des Gründers
und der Gründerin der religiösen Genossenschaft der
»Letites Loeurs ckes pauvres«. Die gesamte Kritik
bewunderte diese Leistung ersten Ranges, für welche ihm
einstimmig die üleckaille ck'ttonneur zuerkannt wurde.

Von Männerporträts ist das berühmteste das
Napoleon 111. geworden, welches der Kaiser für die
Kaiserin anfertigen ließ. Dieselbe stellte schwierige Be-
dingungen. Sie wollte, daß das Bild gleichzeitig intim
und doch offiziell sein sollte. Cabanel malte den Kaiser
im Frack mit dem großen Bande der Ehrenlegion. Als
Cabanel, so erzählt Madame Carette, die Vertraute der
Kaiserin, in ihren soeben erschienenen Memoiren, dieses
Porträt, welches durch seinen Realismus und seine voll-
endete Ähnlichkeit das weitaus beste ist, in der Tuillerien
malte, wünschte er in das Arrangement die Attribute der
Souveränität auszunehmen. Die Kaiserin ersuchte ihn,
sich an ihre Schatzmeisterin Madame Pollet hinsichtlich
aller Accessorien, deren er bedürfen sollte, zu wenden.
Cabanel verlangte außer dem Zepter und der Krone
von dieser Dame auch die Hand der Gerechtigkeit. Diese
Forderung versetzte Madame Pollet in nicht geringe Auf-
regung und sie weigerte sich entschieden dem Ansinnen
Cabanels Folge zu geben. Man hatte alle Mühe der
guten Frau auseinanderzusetzen, daß es sich nicht um eine
hohe Würde in der Magistratur handle, die, wie sie
glaubte, Cabanel anstrebte, und für deren Erlangung er
ihre Vermittelung bei der Kaiserin erbäte, sondern einfach
um den mit der Hand gekrönten Stab, den die französischen
Könige seit Ludwig X. in ihre Regalien ausgenommen
haben.

Der Leser erläßt mir die Aufzählung biographischer
Daten aus dem Lebensgange Cabanels, über die ihm
jedes Konversationslexikon Aufschluß gibt. Es war mir
darum zu thun, hier seine Bedeutung für die Kunst, als
Maßstab des Verlustes, den Frankreich durch den Tod
des Meisters erlitten, festzulegen.

Cabanel hinterläßt ein Vermögen von zwei Mil-
lionen Franken. Die Erbschaft seines Sessels in der
Akademie ist lebhaft umstritten. Jean Paul Laurens,
Jules Lefebvre, Henner und Detaille stehen als Kan-
didaten in erster Linie.
 
Annotationen