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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Unsere Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0263

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Unsere Bilder, vom Herausgeber

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Ausstellung hier. Das ist einmal ein wirkliches Sitten-
bild, welches uns das heutige Spanien, wie es ist, mit
wunderbarer Kraft schildert und zugleich mit einer An-
mut und einem köstlichen Humor wie man ihn bei Murillo
oder Cervantes nicht frischer trifft. Wie prächtig ge-
schildert sind Sr. Gnaden der Bischof, der sich alle Jahre
einmal bei dieser Gelegenheit der Schule erinnert und
der ihm astistierende Herr Bürgermeister, der samt den
hinter ihm stehenden Ratsherrcn so würdevoll die Sorg-
falt der Gemeinde für ihre Lehranstalten vertritt. Wie
rührend muten dann im Gegensatz dazu die Nonnen an, die
ihr Leben wirklich für die Kleinen aufopfern und jetzt
ganz glücklich sind dieselben so schön herausgeputzt zu
sehen. Merkwürdigerweise scheinen die vornehmsten
unter den Kindern auch die begabtesten, tragen wenigstens
die Preise davon. Flößt uns nun das ganze offizielle
Spanien nicht allzuviel Sympathie ein, da es über die
gleichgültige Repräsentation nicht hinauskommt, so bildet
dagegen die dasitzende oder erwartungsvoll stehende Kinder-
welt in ihrer naiven Frische den entzückendsten Gegensatz
zu den ziemlich prosaischen und abgelebten Vertretern
der Behörde. Besonders die auf dem Stuhl stehende
der Prämiierung erwartungsvoll entgegensehcnde kleine
Hauptperson ist wahrhaft köstlich in ihrer zitternden
Erwartung. Aber auch alle andern Kinder zeigen in
ihrer so verschiedenen, bald sicheren, bald zagenden Haltung
oder fröhlichen Unbekümmertheit ein feines Verständnis
der Kindernatur und eine Liebe in der Wiedergabe der-
selben, daß uns das Herz aufgeht vor dieser spanischen
Jugend, die so entzückend kontrastiert zu den die Hohlheit
der sozialen Zustände so deutlich wiedcrspicgclnden Alten.
Daß uns trotz der prächtigen Kinder das Ganze eher
einen düster feierlichen Eindruck macht, das gehört nicht
am wenigsten zur Wahrheit dieser Schilderung, bei der
man ein Kapitel ans Gil-Blas zu lesen glaubt.

Darf man nun diesem Meisterwerk gegenüber wohl be-
haupten, daß die alte Kunst sehr wenig zu bieten habe,
was sich an Feinheit der Charakteristik einer ganzen
Epoche damit vergleichen lasse, so wird der Hauptuntcr-

schied dennoch besonders in dem Reichtum an köstlich
naiven Figuren zu suchen sein, den Benlliure hier zeigt.
Eigentlich sind sie es alle, die Alten wie die Jungen, da
keine einzige Posiert oder an sich denkt. Dergleichen
findet man aber kaum bei Ghirlandajo, dann aber vier-
hundert Jahre lang gar nicht mehr bei den Italienern
und sogar bei den Niederländern nicht allzu häufig.
Selbst auf unsrer letzten Ausstellung befand sich nur noch
ein einziges Bild, welches an Kinderunschuld und Naivetät
mit diesem auf gleicher Höhe stand, ja es vielleicht darin
noch übertraf: Klaus Meyers Kleinkinderschule, ein Meister-
werk, das denn auch richtig unverkauft blieb dank der
erleuchteten Kunstkenntnis unsrer Bilderliebhaber. Der
jugendliche Benlliure selber aber, der hier seinen viel
berühmteren Landsmann Fortnng unsers Erachtens noch
weit übertraf, geht offenbar noch einer großen Zukunft
entgegen, wenn er im stände sein wird, sich diese Reinheit
der Naturempfindung zu erhalten, die ihn selbst vor allen
seinen Landsleuten auszeichnet, die doch gewiß nicht arm
daran sind.

Etwas von diesem Naturgefühl findet man unstreitig
auch in dem köstlichen Amalfi des Tirolers Unterberger,
welcher der berühmten Künstlerfamilie augehörig erst in
München dann in Mailand bei Alb. Zimmermann ge-
bildet, sich später in Brüssel niederlicß und dort wohl-
verdienten Ruf erwarb ohne irgend etwas von seiner
Eigentümlichkeit aufzugeben. So erinnert er auch hier
weit eher an Rottmann als an die Belgier und versteht
es jedenfalls sehr gut, uns in seinem Bilde die phan-
tastische Pracht ahnen zu lassen, welche jene wonnigen
Gestade allen unvergeßlich macht, die sie je betreten.
Scheint doch die Natur da alles zusammengehäuft zu
haben, was sie an Kühnem und Lieblichem, an Reichtum
der Formen und Farben besaß. Gerade das stellt aber
dem Maler die schwerste Aufgabe und man muß sagen,
daß sie Unterberger mit entschiedenem Glück so weit ge-
löst hat als sie der Malerei überhaupt zu lösen möglich
ist, da sein Bild wirklich etwas Berauschendes hat.

Leige

Aus Gurlitt, Geschichte des Barockstils, siehe S. 208

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