Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

DOI Artikel:
Pecht, Friedrich: Zu Benjamin Vautiers 60. Geburtstage, den 27. April 1889
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0277

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

vom Herausgeber 21Z

gezeigt, daß er des Ausdrucks der tiefsten Empfindung wohl fähig sei. Dagegen ist die Darstellung von Laster
und Gemeinheit, wie überhaupt der Schattenseiten der menschlichen Natur, ihm unsympathisch, und er hat sie
nur einmal, in der „Verhaftung" eines jüdischen Wucherers, da aber mit großer Kraft und Wahrheit, wenn
gleich auch nur in der Wirkung ihres Anblicks auf unverdorbene Gemüter, geschildert. Offenbar ist auch
die mehr oder weniger schalkhafte Idylle seinem heiteren, heftigen Leidenschaften wie allem Gewaltsamen ab-
geneigten Naturell das entsprechendste Feld. Auf ihm ist er aber auch unübertroffen und unerschöpflich, ja es
ist fast unmöglich, alle die Meisterwerke auch nur aufzuzählen, welche er in seiner bald vierzigjährigen Tätig-
keit da geschaffen. Wir müssen uns daher begnügen, jchließlich nur noch auf das von uns gebrachte heitere,
d. h. wohl angeheiterte „Wiedersehen" (siehe Seite 215) hinzuweisen.

Merkwürdig ist auch, daß sich bei dem Meister selbst jetzt noch kaum irgendwelche Spuren des Alters
zeigen, die bei andern doch oft so früh auftreten. Ja er ist in seinem letzten, hier erwähnten Bild der
„bangen Stunde" unstreitig noch sorgfältiger in der Durchführung und gediegener in der stimmungsvollen,
dem Ernst des Gegenstandes entsprechend, eher melancholischen Färbung, bei der ihm früher eine gewisse
kühle Buntheit nicht immer zu vermeiden gelang. Ist er unstreitig mehr Zeichner als eigentlicher Kolorist,
so entwickelt er aber da auch eine wohlthuende Korrektheit und Einfachheit der edlen Form, die ihn bei
der Darstellung der Frauenschönheit ganz besonders begünstigen, in welcher er denn auch mehr leistet als die
meisten, da als dankenswertes Geschenk der Erziehung im streng ehrbaren Pfarrhaus sich die wohlthuendste
innere Reinheit mit der äußeren Sauberkeit bei seinen Mädchen verbindet, und ihre Anziehungskraft dadurch
nicht wenig erhöht.

Doch das, was uns am heutigen Tage vorzugsweise beschäftigt, das ist zunächst ein Gefühl des tiefsten
Dankes beim Blick auf dies sw selten reiche und wohlangewendete Leben, wie es hier in einer allerdings immer
nur kleinen Anzahl von Abbildungen seiner Arbeiten, aber doch aus allen Hauptperioden derselben vor uns

liegt. — Denn wie viel Beispiele von
Bravheit, Ehrlichkeit und Geradheit, wie
schlichter Tüchtigkeit hat uns der Künstler
in seinen Männern, wie viel herzerquickende
naive Anmut, Unschuld und schalkhafte
Frische, aber auch wie viele Liebe und
Treue, Pflichtgefühl und Innigkeit, welchen
Schatz von tiefer Empfindung hat er uns
bei seinen deutschen und schweizerischen
Frauen gezeigt! Wer einst nach Jahr-
hunderten diese ebenso überzeugenden als
reizvollen Schilderungen sehen wird, welche
Vautier vom Leben des deutschen Bauern-
und Bürgerstandes gegeben hat, der wird
nicht nur von hoher Achtung für dieselben
erfüllt werden, er wird auch den ungeheueren
Aufschwung vollkommen begreifen, den die
Nation gerade in unserer Zeit genommen.

Er wird vorab diesem Volke nach
dem so schwer wiegenden Zeugnis Vautiers
die Anerkennung nicht versagen, daß sein
Glück kein unverdientes war. Denn da
liegt ja gerade das ungeheure künstlerische
Verdienst unsers Meisters, wie seiner beiden
großen Zeit- und Strebungsgenossen, daß
seine Bilder so voll lauterer Natur sind,
so überzeugend und glaubwürdig, daß sie
in dieser Beziehung alle Vorgänger, ja
selbst die technisch doch sehr überlegenen
Holländer noch übertreffen. — Leider über-
treffen sie auch die Nachfolger, die uns,
darüber darf man sich nicht täuschen,
bereits wieder eine ganz andre Kultur-
periode, ein neues Geschlecht zeigen, das
Studie fll „Der Troizkoxs". von Benjamin vautier sehr viel weniger ansprechend ist als das
 
Annotationen