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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Modelle, [1]: ein Novellenkranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0302

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Modelle

LSH

Bedarf im Atelier bei klarstem Nordlicht zurecht stellen
und setzen können, sie haben'S besser als wir armen Land-
schaftsmaler bei unserm ewigen Kampf mit der Sonne."

„Nicht doch, nicht doch! Auch wir sind nicht zu
beneiden." Es war eine Helle Tenorstimme, die auf solche
Weise den beiden die Anwesenheit eines Dritten ankündigte.
„Beim heiligen Lukas, Herr Professor, das Gegenteil ist
der Fall." Der Ankömmling, in dessen kräftiger Erscheinung
der modern zugestutzte Vollbart fast komisch mit dem
Salontyrolerkostüm kontrastierte, verbeugte sich galant
vor dem Fräulein. „Waren so vertieft in die Aussicht,
daß Sie mein Kommen gar nicht bemerkten. Und was
sagen Sie zu dem Witterungswechsel. Nun man siehts
Ihnen an. — Jawohl, ganz im Gegenteil, Herr Professor,"
wandte er sich nun wieder zu diesem. „Läuft Ihnen
etwa dieser Thurm, jener Berg, diese Stadt weg, bekommen
dieselben Migräne und Nervenzucken und zappeln sie
hin und her, schwatzend, fragend, querulierend, wenn
Sie als Modell sie benutzen. Nein! Wir aber! O!
Schon die Bauernkinder bekommen jetzt Nerven, wenn
sie länger als eine Stunde in einer Pose verharren sollen.
Und wre viel schöne Biodelle gibts denn selbst in unsrer
großen Kunststadt München . . . unter den bezahlten
und den unbezahlbaren? Und ist eins schön — wie groß ist
die Nachfrage, die Konkurrenz, wie groß auch die Arro-
ganz einer solchen Person. Und nun das Porträtieren!
Sie von der Landschaft, ja, Sie können die Natur malen
in ihren schönsten Offenbarungen, wie es Ihnen gefällt.
Wir aber? Heiliger Lukas! Können, dürfen wir einer
Dame von Stand, und wäre sie so häßlich wie des
Teufels Großmutter im Märchen, es abschlagen, wenn
Sie sich malen lassen will? Das verbietet ja schon die
Höflichkeit, und wenn man noch ums liebe Brol arbeiten
muß, auch die Pflicht der Selbsterhaltung. Dabei sind
wir, je mehr diese LIein nir-Malcrci Mode wird, ab-
hängiger von unfern Modellen als je. Apropos —
Modelle; wissen Sie schon . . ." Er verstummte plötzlich.

„Nun, Herr Oswalt," fragte Fräulein Cäcilie, die
zwischen ihm und ihrem Vater gehend, sich der nördlichen
Seite der Ruine zugewandl hatte, wo ein schmaler Gang
die Mauer entlang nach dem freien Platz deS ehemaligen
Burggartens führte. Doch schon sah sic selbst die Ursache
des Verstummens, wenn sie auch den Beweggrund nicht
cinsah. Ein Herr und eine Dame -— beide von statt-
lichem Aussehen, städtisch gekleidet, aber von fast rustikaler
Ungezwungenheit des Auftretens — kamen ihnen entgegen
und gingen vorüber, wobei der Herr und der Professor
freundliche Grüße tauschten.

„Ah, der Enghaus ist auch da. Das ist nett," sagte
der letztere zu seiner Tochter.

„Aber warum fühlten Sie sich geniert", wandte
sich diese fragend an ihren linken Nachbar.

„Ei, aus Delikatesse. Sie wissen doch. Enghaus
hat sein Modell geheiratet. Die Frau da war in jüngeren
Jahren in München ein vielbenutztes Modell."

Die Drei waren inzwischen auf die andere Seite
der Ruine gelangt. Freundlicher Zuruf scholl dem Prosessor
und seiner Tochter von verschiedenen Seiten entgegen.
Mit der leichten Umgänglichkett, die in deutschen Küustler-
kreisen sich auch in unfern Tagen der Verkehrsüberhäusung
glücklicherweise erhält, hatte sich seit kurzem hier eine kleine
Küustlerkolonie zujammengefunden, Maler und Malerinnen
— auch ein Schriftsteller war darunter —, die in Brixlegg,

Gramsach oder Rattenberg Wohnung hatten, zu den
Mahlzeiten auch wieder dorthin zurückgingen, während
sie in den Morgenstunden sich auf dem Felsplateau der
Rattenburg ein Stelldichein gaben, zeichnend, malend,
sich unterhaltend, bei Regenwetter Zuflucht im Innern
der freilich dachlosen Burgruine suchend und schließlich
unter Verabredung eines gemeinschaftlichen Ausfluges für
den Nachmittag mit frohem „Ans Wiedersehen" sich trennend.

So wurden denn die Ankömmlinge als gute Bekannte
begrüßt, obgleich nur die dem Prosessor entgegenkommende
Dame, deren elegante Toilette mit dem feinen Parfüm
wenig in diese Umgebung paßte, diesem schon länger
bekannt war. Frau von Pawlowska, eine Polin, die
seit ihrer Verwittwung in München lebte und, nachdem
sie schon manch andres Genre versucht, neuerdings zu
den Schülerinnen des Landschaftsmalers Lothar Schultz
zählte, umarmte Fräulein Cilli und reichte dem Prosessor
die Hand. Sie hielt ihr Skizzenbuch in der Linken, ging
aber auf das „Schon fleißig gewesen?" ihres Lehrers
nicht weiter ein, folgte auch Cäcilien nicht, welche sich
von dem gleichfalls herangctretenen Thausig, einem den
alten Ruf der sächsischen Gemütlichkeit bewährenden
Dresdner, die weite Aussicht in die südwestliche Seite des
Innthals erklären ließ, sondern rief: „Sie kommen gerade
rechtzeitig, lieber Professor, um mir zu helfen. Ich stritt
mich mit den Herren, die ihre Majorität natürlich wieder
einmal mißbrauchten. Und nun sagen Sie uns Ihre
Meinung. Wie kann ein Künstler von dem Talent und
Ruf eines Enghaus ein Modell heiraten? Mit Ihnen
kann man darüber doch ein vernünftiges Wort reden.
Diese leichtfertigen Kameraden da nehmen ja alles auf
die leichte Achsel. Und nun gar erst der sophistische
Kritikus dort oben, der Doktor Weinhold." Und sie
drohte mit schelmischer Koketterie, die ihren dreißig Jahren
noch recht gut stand, hinauf zu der schmale» Fensteröffnung
in der Burgmauer, in welcher ein heiter dreinblickender
Alaun von etwa gleichem Alter in leichtem Lüsterrock
rittlings saß, vor sich ein Buch. — „Oho", klang es
von der Höhe herab.

„Aber wie sind Sie denn da hinansgekommen?"
rief erstaunt Fräulein Cilli.

„Jedenfalls leichter als wie das Hinunterklettcrn
sein wird. Sie müssen es sich daher schon gefallen
lassen, wenn ich Ihnen heute etwas von oben herab be-
gegne. Für ungestörte Lektüre ist der Sitz sehr geeignet.
Aber jetzt hat Ihr Vater das Wort."

„Ei, was ist da viel zu sagen. Enghaus scheint
mit seiner Frau glücklich zu sein. Das ist doch die
Hauptsache."

„Aber, ich bitte Sie! Ein Mann von Geist, ein
Künstler, dem die ersten Gesellschaftskreise offen stehen
könnten, wenn er nicht sein Leben an solch eine Frauens-
person verworfen hätte! Und der glücklich? Das ist ja
unmöglich. Er thut nur so."

„Nein, nein; er scheint wirklich glücklich zu sein.
Vielleicht hat er lieber ein heiter-natürliches, dabei an-
spruchloses Menschenkind um sich, als Ihre „ersten Ge-
sellschaftskreise"."

„Ein gewesenes Modell!"

„Was besagt das? Es gibt mancherlei Modelle.
Welche vornehme Schönheiten haben z. B. gelegentlich
der Kunst eines Makart gedient. Auch Fornarina war
ein Modell und einen Raffael beglückte ihre Liebe."
 
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