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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Brandes, Otto: Der Pariser Salon 1889, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0375

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Der Pariser Salon ;k8y. Don Dtto Brandes

finden im diesjährigen Salon nur noch eine geteilte
Bewunderung aus dem doppelten Grunde des Vorwurfs
und seiner Behandlung. Ein ähnliches Schicksal hat sich
Karolus Durand mit seinem „Bacchuszuge" bereitet,
der ohne jede persönliche Note, nach alter Schablone
zu stände gekommen, Publikum und Kritik vollständig kalt
läßt. Nichts weiteres läßt sich von den zahl-
reichen dekorativen Gemälden sagen, welche
die verschiedensten Bürgermeistereien zur Aus-
schmückung meist ihrer Heiratssäle bestellt
haben, die sich außerdem einer Kritik ent-
ziehen, da man sie auf ihre Wirkung nur
an Ort und Stelle angebracht, zu beurteilen
vermag.

Nur ein einziges zur Ausschmückung
der neuen Sorbonne bestimmtes Bild nimmt
in dieser Reihe der Darstellungen unser Inter-
esse in hervorragender Weise in Anspruch; es
ist Lhermittes „Claude Bernard".

Ein einflußreicher Kunstkritiker hat bei
meinem letzten Aufenthalte in Deutschland den
etwas kühnen Ausspruch gethan: Frankreich
habe unter den jüngeren keine großen Maler.

Nun man komme und sehe in diesem Salon
die Werke eines Lhermitte, eines Friant,
eines Dagnan-Bouveret, eines Roll, eines
Laurens, eines Dawant, eines Moreau de
Tours, um nur die aller ersten zu nennen,
an und man dürfte sich überzeugen, daß der
Nachwuchs Frankreichs nichts zu wünschen
übrig läßt, und daß Paris noch immer die
Hauptstadt der Kunst ist. Solche Urteile von'
maßgebender Stelle ausgesprochen setzen sich
zuweilen fest und darum protestiere ich hier,
bei allem Stolz auf unsre nationale Kunst,
gegen solche Behauptungen.

Lhermitte, der bisher seine Vorwürfe
dem ländlichen Leben entnahm und in der
Schilderung desselben, dank liebevoller Beob-
achtung, eine seltene Wahrheit erreichte, die
uns an dieser Stelle verschiedentlich zur Be-
wunderung hinriß, hat in seinem „Claude
Bernard" ein Werk von packendem Realis-
mus aus jenem Berufskreise geschaffen, der
vermöge seiner wissenschaftlichen Betätigung
nach Physiognomie und Haltung den Gegen-
satz zu dem Wesen des Landmanns bildet:
aus dem Gelehrtenstande. Er hat auf diesem
neuen Gebiete seine vollendete Meisterschaft
bethätigt. Über die nackten Wände des Hör-
saales schweift das Helle Morgenlicht eines
Frühlingstages. Claude Bernard, der große
Physiologe, mit der weißen Schürze der
Sezierenden angethan, steht inmitten seiner
lauschenden, nachdenkenden, zuschauenden
Schüler, das Seziermesser in der Hand, mit
einer Vivisektion beschäftigt. Alle diese in den mannig-
faltigsten natürlichsten Stellungen um den Lehrer gruppierten
Schüler, unter denen wir den bekannten, jüngst in Tonkin
verstorbenen Paul Bert erkennen, zeigen neben der Ver-
ehrung für den schon bejahrten Meister die gespannteste
Aufmerksamkeit auf das Experiment. Ein über den Tisch
geneigter Diener wischt das Blut auf, ein andrer wäscht

29z

ein bei dem Versuche benutztes Leinentuch, während einer
der Zuhörer am Tische sitzend aufmerksam lauschend den
Verlauf des Experiments und die Schlüsse des Lehrers auf-
zeichnet. Obwohl alle Figuren mit derselben Sorgfalt be-
handelt sind, so steht doch Claude Bernard im Mittel-
punkt des Juteresses. Ihn lehrt uns das Bild in seiner

Bildnis Sr. K. Hohrit des Prinzen Alfons von Bayern
von Toni Aron

Erste Münchener Iahres-Ausstellung 1889
Photographieverlag der Photographischen Union in München

Bescheidenheit und Einfachheit bei seiner wissenschaftlichen
Bedeutung und Würde besser kennen, als es langatmige
Monographien vermögen. Welch' eine Mäßigung in der
Farbe, welch eine Kraft und Sicherheit in der Faktur.

Diesem Bilde vermag ich nur Friants „Aller-
heiligen" zur Seite zu stellen, das durch markige Kraft,
Hingabe an die Beobachtung, durch einen erfreulichen
 
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