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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Pecht, Friedrich: Die erste Münchener Jahres-Ausstellung 1889, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0412

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Z22

Die erste Münchener Iahres-Ausstellung <889. III. Geschichtsbilder

unsre Jugend dem Vaterland zu entfremden, als sie zum Verständnis und zur Liebe desselben zu erziehen.
Ja, man kann mit Bestimmtheit sagen, daß geradezu keine einzige große moderne Nation so wenig Anhäng-
lichkeit an ihre eigene Geschichte zeige in ihrer jetzigen Kunst, als die unsrige, während doch keine zweite so
ungeheure Aufwendungen für Erziehung und Unterricht macht. Sind das die Früchte der vielgerühmten
„klassischen Bildung", an der unser Schulmeistertum mit solcher Zähigkeit sesthält? Denn es muß hier gleich
bemerkt werden, daß nichts ungerechter wäre, als die Maler etwa allein dafür verantwortlich machen zu wollen,
wenn auf unsrer Ausstellung unter etwa 1600 nur zwei, sage zwei Bilder sich mit vaterländischer Geschichte
beschäftigen! Weit mehr als die Künstler tragen die Bilderkäufer, also in erster Linie die Regierungen und
die besitzenden Klassen der Nation die Schuld an diesem tief beschämenden Zustand! Nicht nur fällt es ihnen
gar nicht ein, dergleichen etwa gar zu bestellen, sondern wenn ein Künstler es unternimmt, voll heiliger Be-
geisterung einen unsrer Triumphe, einen
unsrer großen Männer, nationalen Helden
und Märtyrer zu malen, so kann er zehn
gegen eins wetten, daß er damit sitzen
bleibt, also alle sehr beträchtlichen Opfer,
die ein solches Bild erfordert, nur gebracht
hat, um sich eine tiefe Kränkung dafür zu
holen. — Einer unsrer berühmtesten Maler
moderner Geschichte sagte mir voll Ärger,
ja sehen Sie, wenn ich mit meiner Familie
leben will, so muß ich Bankiers malen,
bei den vaterländischen Helden müßte ich
verhungern! Das war in Berlin, wo man
Hunderttausende für sehr fragwürdige alte
Bilder übrig hat, wo man sich aber bis heute
nicht entschließen konnte, ein so eminentes
Kunstwerk wie Kellers „Apotheose Kaiser
Wilhelms" zu erwerben. Wie denn auch
das vortreffliche Bild des Ostpreußen
Räuber, das die Übergabe von Warschau
an den großen Kurfürsten so geistvoll
schildert, noch ebenso in des Künstlers
Besitz ist, als der Einzug Alarichs in dem
Lindenschmits. Da verlegt man denn
freilich die Flagellantenszenen, wie Marr,
nach Italien, obwohl sie ebenso gut in
Deutschland vorkamen, weil man unsre
Gebildeten schon in der ersten Jugend ge-
lehrt hat, sich weit mehr für dieses oder
für Hellas zu interessieren, als für die
eigene Heimat. — Was uns bei dieser
trostlosen Sachlage am meisten beschämt,
ist, daß sie nicht etwa ab-, sondern im
Gegenteil heute mehr als je zunimmt.
Denn der Geldaristokratie, die allein
Bilder kauft, und der Büreaukratie, die den Staatssäckel verwaltet und — leert, sind alle nationalen
Helden, noch mehr aber die Märtyrer — sei's des Glaubens, der Wissenschaft oder der Kunst, oder
vollends gar der Freiheit — gleich sehr zuwider. Ist es unfern Zeitungen doch bereits gelungen, mit
ekelhafter Servilität die Tagesgeschichte in eine solche der Hochzeiten und Kindstaufen der regierenden
Häuser zu verwandeln, wie in der schönsten Blüte der Reaktion und des Bundestags. Natürlich muß da
die Malerei wohl oder übel nach, und die deutsche Geschichte im Stil der offiziellen Zeitungen malen, oder
gar nicht. — Daß sie das letztere vorzog, ist also fast ein Verdienst, und so kommt es denn, daß wir auf
unsrer Ausstellung von nationalen Helden bloß einen „Andreas Hofer am Abend vor der Schlacht am Berg
Jsel" treffen, den Defregger — beileibe nicht auf Bestellung, — sondern aus reinem Patriotismus gemalt.
Das Bild gibt denn auch die todesmutige Begeisterung, welche diese schlecht bewaffneten, undisziplinierten
Bauernhaufen zum Siege über einen tapferen und kriegsgewohnten Gegner führte, sehr glücklich wieder, der
Ernst der Lage spiegelt sich in allen, auch sonst vortrefflich charakterisierten Einzelheiten, wie in der Stimmung

Lin ungrbrkrnrr Gast, von Adolf LKerle
 
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