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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Modelle, [5]: ein Novellenkranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0440

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Modelle

34,

Bedenken Sie, in welcher Verfassung ich her kam. Mich
wird nichts wieder von hier in den Taumel des Groß-
stadtlebens locken. Und hier — wer und was sollte mein
Glück stören? Carmi liebt mich. Noch lebt in mir die
Kraft es ihr zu danken. Daß sie nicht gebildet, —
ein Glück mehr ists für mich. Ich hasse die Halbbildung
unserer modernen Dämchen. Der Natur gehört meine
ganze Liebe. Die schöne Natur hier ließ mich genesen,
die schöne Natur brachte Glück und Frieden, Licht und
Wärme in mein schon halb verwüstetes Dasein. Und Carmi
ist nur Natur, die Weib geworden, schöne Natur, die wir
hier in der Landschaft bewundern!" — „Es war nur die
Stimmung des Abschieds", war meine Antwort. „Freilich,
das ists. Schade, daß Sie gerade jetzt fortgehen müssen.
Aber bald wieder kommen, nicht wahr?" Er drückte mir
ordentlich zärtlich die Hand.

Ich aber gedachte der armen Schiffer, deren Tod
alljährlich diese schöne Natur fordert und der Sage von
den Nixen, deren Liebe die Schisser in die Tiefe zieht.
Und als ich mich im Saal von der schönen jungen
Wirthin empfahl, deren Haar ein poetischer Einfall
Tömsens mit Wasserrosen geschmückt hatte, war es mir,
als lebe in diesen lachenden, eben vom Champagner er-
glühen gemachten Augen etwas von der kalten Ver-
nichtungsfreude jener Nixen der Sage. Sie aber merkte
nicht den Ernst meines Blicks, sondern scherzte mit ihrem Nach-
bar weiter, als harre kein ihr eben erst angetrauter Gatte
draußen in der Loggia auf sie, um von ihr einen heim-
lichen Kuß, eine einsame Umarmung mitten im Rausche
des Fests zu empfangen. Da bemerkte sie ihn in der
Thür stehen und verstand seine stummen Winke wohl.
Für die romantische Stimmung dagegen, die den Mann
dabei beseelte, fehlte ihr das Verständniß. „Du willst
einen Kuß haben?" rief sie, indem sie lachend von ihrem
Sitz auffuhr, über den Tisch mit den Gästen hinweg.
„Du Ungeduld! Ei, so fang' mich!" Sie raffte ihr Kleid
auf, wie zum Wettlauf bereit. „Das ist kein Schauspiel
für unsre Gäste", erwiderte Tömsen entnüchtert, kam aber
doch näher. Jetzt blieb sie stehen und ihr Gesicht nahm
jenen Ausdruck an, mit dem sie uns damals bedroht
hatte, bei jener ersten Begegnung, da sie den Eingang
zur Grotte als kühne Schwimmerin vertheidigt hatte.
„Ei so fang' mich doch!", rief sie von neuem. Sie griff
zum Champagnerglas, das ihr frisch vollgeschänkt wurde.
Sie hob es empor, doch statt zu trinken, spritzte sie das
schäumende Naß dem nun schnell nahenden Tömsen ins
Gesicht. Dabei lachte sie mit ihrem bestrickenden Ton.
„Das ist süßer als Meerwasser! Gelt?" — Und nun sprang
sie vom Platz, doch nicht als Fliehende, sondern ihm
entgegen. Er faßte sie, hob sie empor, ihre Lippen berührten
sich. Dann wollte er sie in seine Arme ziehen, die Auf-
geregte zu besänftigen. „Aber Kind, was das für Possen
sind!" rief er. Doch — husch — hatte sie sich ihm schon
wieder entwunden. Die wilden Rythmen der Tarantella
tönten jetzt von ihren Lippen; in wildem Takte drehte sie
sich und wiegte die Glieder mit leidenschaftlichen Geberden
— wie es der Weise dieses sinnlich-übersinnlichen National-
tanzes entspricht — ihren Mann umkreisend, ihn lockend
und abweichend. „So tanz' doch mit!" rief sie. Doch
dieser mußte darauf verzichten. „Du tanzest bester allein",
sagte er. „Du brauchst keinen Partner. Ich will dir
zusehen!" — „Du bist langweilig", rief sie. Sie brach
jäh ab und eilte aus dem Zimmer in das Dunkel der

Loggia. „Ich weiß nicht, was sie hat — sie ist toll",
sagte Tömsen achselzuckend zu seinen Gästen. „Kommt,
Freunde, trinkt!" Doch alle fühlten, daß es Zeit sei, zum
Aufbruch. Unter Wiederholung ihrer Glückwünsche empfahlen
auch sie sich. „Gute Nacht!" „Gute Nacht!" Tömsen
begleitete uns hinunter. Doch als wir zur Thür heraus-
traten, regnete es Rosen auf uns herab. „Gute Nacht!"
tönte es auch von dort hell durch das Dunkel. Carminella
zerpflückte ein großes Bouquet, jedem von uns eine duftige
Rose zuwerfend. „Sie ist doch ein Engel", rief Tömsen,
von dem liebenswürdigen Einfall Carmis bezaubert.
„Eviva", riefen wir dankend. „Eviva Carminella!" klang
es durch die Nacht. Er schloß die Thür . . .

Dieser Anfang blieb mein letzter persönlicher Eindruck
von dieser seltsamen Ehe. Es vergingen mehrere Jahre,
ehe ich Capri wieder besuchen konnte. Als ich wiederkehrte,
fand ich die pompejanische Villa, die damals erst im Ent-
stehen war, leer. »Ust locancka!« Gedruckte Plakate an
den Fensterscheiben verkündeten, das sie zu verkaufen sei.
„Hier sind Ateliers zu vermiethen", stand auch zu lesen.
Ich miethete mir einen der Säle und eine Kammer daneben.
Hier fand ich Muße, mir alles was ich vom Fortgang
und Ende des Tömsenschen Ehe-Idylle auf der Insel und
von Freunden in Neapel erzählen hörte, in Zusammen-
hang zu bringen mit dem Charakter der beiden Menschen.

Tömsens Versuch, sich mit Carmi in ein stilles Ehe-
glück einzuspinnen, war gar bald gescheitert. Ihrem Ver-
kehr fehlte zu sehr das belebende geistige Element. Was
Carmi unterhalten und unterhaltend gemacht haben würde,
lag zu sehr außerhalb der Atmosphäre seines Verständnisses
und seines Behagens. Viele ihrer lustigsten Einfälle und
besten Regungen blieben ungewürdigt von ihm, weil er
entweder den Dialekt nicht genügend beherrschte oder den
Handlungen falsche Absichten unterschob. So verdroß es
ihn, wenn sie beim Begegnen ihrer früheren Freundinnen
und Bekannten auf dem Wege stehen blieb und des
Schwätzens kein Ende finden konnte, oder wenn sie gar
wie von der Tarantel gestochen auffuhr und aus dem
Haus lief, wenn jemand von der Sippe an seiner Villa
vvrbeiging. Ihre naive Freude am Putz und Tand, die
ihn früher entzückt hatte, bereitete ihm jetzt Ärger, als
er sah, wie so wenig andres sie in ähnliche Wallung
versetzen konnte und der Mangel an feinerem Benehmen,
den er vergeblich zu beseitigen suchte, erschien ihm gleich-
falls öfters unerträglich, obgleich er doch früher behauptet
hatte, daß ihre natürliche Grazie dafür ein reichlicher Ersatz sei.
Er schaffte sich dann ein Wägelchen und ein hübsches Pony-
gespann an, nicht nur, um ihr damit eine Freude zu
machen, sondern vornehmlich auch, um nicht mehr beim
Spazierengehen die fatalen Begrüßungsszenen erleben zu
müssen. Aber entging er dadurch dem einen Übel, so
schuf er sich dadurch ein neues. Beim Befahren der paar
benutzbaren Straßen kam ihm zum erstenmale seit seiner
Herkunft die peinigende Empfindung, wie gar so klein
dies Stück Erde sei, auf das er sich hier in freiwillige
Verbannung begeben. Und wenn er dann zu Haus kam
und sich vergeblich bemühte, eine längere, tiefer gehende
Unterhaltung mit seiner Frau zu führen, die in nervöser
Hast in den Zimmern eine Scheinbeschäftigung nach der
andern vornahm, während sie viel lieber in der Küche
mit den Mägden geplaudert hätte, da fragte er sich im
Stillen verzweifelt, was herauskommen würde, wenn er
schließlich doch mit dieser schönen Wilden als angetrauter
 
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