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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Modelle, [6]: Novellenkranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0456

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Modelle. Novellenkranz, von Johannes proelß

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aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wie wärs heut' Abend?
Wir wollten ja ohnedies einmal in der Gartenwirtschaft
„Zur Glashütte" drüben in Kramsach gemeinschaftlich
zu Nacht essen. Die Herren Böhm, die dort ihr Quartier
haben, übernehmen es vielleicht das Nötige zu bestellen.
Zuvor aber Ihnen unfern Dank: den Erzählern und dem-
jenigen, der die ganze Idee aufgebracht hat! Das war
einmal einer Ihrer besseren Einfälle, Herr Weinhold."
Sie reichte dabei dem Professor die Hand, der aufgestanden
war und, sein Skizzenbuch in die Tasche steckend, ihr
nun verbindlich den Arm bot. Während das Mittags-
geläut vom nahen Turm und von Brixlegg und Kramsach
her durchs Innthal heraufhallte und von den Fabriken
in letzterem Ort der schrille Signalpfiff der Dampf-
maschinen die Luft durchschuitt, erhoben sich auch die
andern zum Aufbruch und es ward ausgemacht, dem
Vorschlag von Frau Pawlowska zu entsprechen. Die
Brüder Böhm übernahmen es, die Glashüttenwirtin für
einen würdigen Empfang der Gesellschaft vorzubereiten
und brachten dabei in Erinnerung, daß man schon immer
einmal die Glasfabrik neben der Wirtschaft, die dieser
den Namen gegeben, habe besuchen wollen. Auch dieser
Besuch kam auf das Programm für den Abend.

Als man dann um Sonnenuntergang unter einem
der blühenden Lindenbäume des Kramsacher Wirtsgartens
beisammen saß, gab der vorhergegangene Eindruck dem
Tischgespräche die Richtung. Von den malerischen Reizen,
welche das Bild der nacktarmigen Glasbläser vor den
rotglühenden Schmelzöfen entfaltet hatten, kam die Rede
auf Adolf Menzels gewaltiges „Eisenwalzwerk", welches
Weinhold begeistert als eine der bedeutendsten Schöpf-
ungen der Malerei pries. Und von dem Original gings
zu den Nachahmungen über, auf die Arbeiten der jüngern
von gleicher Stoffwahl, wobei Thausig sie als Merkmale
derselben allgemeinen Bewegung auffaßte, welche der
Anteil an der sozialen Frage auch in der Welt der Kunst
und Künstler heutzutage erzeuge. „Ja wohl", rief er,
„wir stehen alle in ihrem Bann! Und wenn ein Menzel
den schlichten Mann aus dem Volke bei der Arbeit
schildert, wie er mit nerviger Faust das Feuer und den
Dampf meistert, dabei mit der Kraft seines Armes die
Kraft des Menschengeistes bewährend, welche die Elementar-
kräfte der Natur in den Dienst der Kultur zwingt, so
bietet er Großes und Schönes, das in malerischer Kraft-
fülle wiederspiegelt, was gerade unsrer Zeit ihre Be-
deutung verleiht." — „Gewiß", nahm nun der alte
Professor das Wort, „die Arbeiter bei der Arbeit und
die Arbeit in ihrer Bedeutung fürs Allgemeinwohl, das
ist ein herrlicher und zeitgemäßer Vorwurf der Kunst!
Aber traurig ist es, wenn diese Richtung ihres besten
Kerns sich entledigt, wie dies in der „Hunger- und Elend-
malerei" meist der Fall ist, die jetzt — unglaublich, aber
wahr — „Mode" ist. Die Darstellung des Elends —
Mode! Eine Sache der Spekulation auf die Kauflust
der Reichen. Sie zeigt den Arbeiter ohne Arbeit, oder
bei einer Arbeit, die ihn zum Lasttier, zum Maschinenteil
herabdrückt; sie schildert die Arbeit als einen Fluch, eine
trostlose Bürde und kann bei denen, welche die Kunstaus-
stellungen und Galerien besuchen, nur Mitleid erregen, aber
nicht erhebend und befreiend wirken. Jedes echte Kunstwerk
muß aber doch in seiner letzten Wirkung befreien und
erheben!" Er wies mit der Hand auf die Arbeiter, die
eben vereinzelt oder zu zweien aus der benachbarten

Glashütte kamen und an dem Wirtschastsgarten vorbei-
gingen: müde, schlaff, verdrossen oder ungeduldig der
Abendmahlzeit und der Ruhe entgegen. „Seht, das sind
dieselben Leute, welche vorhin bei ihrer Arbeit sich zu
einem lebens- und bedeutungsvollen Bilde vereinten. Was
sagen sie uns jetzt? Einen Gemeinplatz. Daß sie müde
sind von der Arbeit, daß sie ebenso wie die stärksten
Helden und größten Geister dem gemeinen Bedürfen des
Körpers ihren Tribut zollen müssen. Und dies soll der
Kunst ein würdiger Vorwurf sein! Nicht einmal ein gutes
Modell kann so ein müder Fabrikarbeiter noch abgeben.
Auch das Modellstehen ist Arbeit und verlangt einen
frischen, wachen Menschen. Und da laufen jetzt unsre
sogenannten „Naturalisten" den Krüppeln und Lahmen,
Siechen und Müden nach, um in ihren Bildern die Natur
und das Leben gerade da abzuspiegeln, wo ihre großen
und ehernen Gesetze sich den einzelnen grausam, nieder-
drückend und tötlich erweisen! . . . Doch wir verplaudern
die Zeit. Laßt uns lieber sehen, welcher Art das dritte
Modell ist, das vom nächsten Erzähler unsrer Galerie
eingefügt wird! Wie wärs, Frau von Pawlowska?
Sie haben heut' Mittag für Fortsetzung des Symposions
gestimmt; bitte, nehmen Sie nun auch den Faden auf!"

„Gut denn", begann nach einigem Zögern und un-
willkürlich eine interessante Pose annehmend, die Dame.
„Gerade das Thema von der „Armenleute-Malerei" hat
in mir eine Erinnerung geweckt, die ich wohl Paffend als
meinen Beitrag darbieten kann. Aber Sie müssen fürlieb
nehmen: so reizende Naturkinder wie die braune Burgei
und die wilde Carminella kann ich Ihnen nicht vorführen.
Ein jeder hat eben seine besondere Welt von Erfahrungen
und eine alleinstehende Dame eine recht kleine. Ich muß
Sie daher bitten, mir in die Salonatmosphäre zu folgen,
die nun einmal die Luft ist, in der ich von klein auf
heimisch bin. Aus ihr stammt auch das Modell, welches
ich hiermit die Ehre habe, Ihnen vorzustellen: Fräulein
Adele K., Tochter des bekannten Kunsthändlers K. in
Berlin, achtzehnjährig, hübsch, verzogen und — wert, auch
weiterhin von einem geliebten Manne verzogen zu werden.
Finden Sie den Namen Adele etwa auch langweilig, wie
so viele Herren, Herr Weinhold? Ich frage Sie, weil
Sie so malitiös lächeln, als ob Sie von diesem Vornamen
ungünstige Schlüffe auf die Dame und das, Was ich von
ihr zu erzählen habe, zögen. Aber ich kann Sie ver-
sichern, der Name Adele steht niemer kleinen Freundin
sehr gut zu Gesicht und dies Gesicht ist gar nicht lang-
weilig, wenn auch ausgesprochen blond, und was ihre
Erlebnisse betrifft, so erschienen sie mir, da ich Zeugin
derselben war, recht amüsant und lustig.

Als ich vorigen Winter einige Monate in Berlin
zubrachte, lernte ich sie gleich im Anfang kennen: ihre
Mutter ist eine geborene Polin wie ich und gemeinsame
Beziehungen zur Heimat verschafften mir eine freund-
schaftlich-gastliche Aufnahme in ihrem Familienkreise.
Unter den jungen Herren, die gesellschaftlich im Hause
verkehrten, fiel mir bald der Maler Arnold Berg auf,
nicht nur, weil er in seinen Bemühungen um die Gunst
von Fräulein Adele entschieden das meiste Glück hatte,
sondern weil er überhaupt ein guter und aufmerksamer
Gesellschafter war. Da er auch in den Künstlerkreisen,
die sich mir öffneten, verkehrte, wurden wir näher bekannt
und unser Verkehr war von^Anfang an um so unge-
zwungener, als er mich sehr bald zur Vertrauten seiner
 
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