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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Modelle, [6]: Novellenkranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0461

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Lcovellenkranz. von Johannes proelß

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Dankes Tod. von Btto Friedrich

Erste Münchener )ahres--Ausstellung ^889
Photographieoerlag der Photographischen Union in München

Ich bat nun um die Erlaubnis, ihn einmal in dem
sonderbaren Freilicht-Atelicr besuchen zu dürfen, und um
die Adresse desselben. „Du lieber Himmel", war seine
Antwort, „da würden Sie sich schwerlich zurechtfinden.
Wenn Sie wirklich ein so lebhaftes Interesse für die
Arbeit und das Atelier haben, wäre es doch schon besser
Sie begleiteten mich einmal. Wenn es Ihnen paßt,
meinetwegen gleich heute!" — Mir war das ganz recht.
„Zuvor aber muß ich hier in dem Laden nebenan etwas
Thee kaufen", fuhr er fort. „Der meine ist mir ausge-
gangen." Ich sprach meine Freude darüber aus, daß
er sich nun doch an mein Lieblingsgetränk, das er
früher immer verlästert hatte, gewöhnt habe. „Doch
nicht!" lächelte er. „Wir beiden Maler helfen uns über
die Kälte mit gutem Kognak hinweg. Der Thee ist für
das Modell, die alte Frau." — „Also ein Geschenk,
damit sie sich zu Hause ein dene thnn kann?" Doch er:
„Daran Hab' ich noch gar nicht gedacht. Bisher habe ich
ihr de» Thee immer gleich dort gekocht und sie während
des Modellstehens ab und zu eine Tasse nehmen lassen."

Nach diesen Andeutungen werden Sie sich schon
ein ungefähr zutreffendes Blld machen können von dem
eigentümlichen Atelierleben der beiden Pleinairisten, des
echten und des unechten, da draußen in Moabit. In
Moritz Keil lernte ich eine ernste, in sich gekehrte Künstler-
natur kennen, die bei der Arbeit an nicht andres dachte,
als an die zu mischenden Farben und die richtige Pinsel-
führung, um die Eindrücke der von der Wirklichkeit ge-

Pi- Runs, für All- IV

botenen Vorlage wiederzugeben — deutlich und treu und
mit der beabsichtigten malerischen Wirkung. Ihm galt
das alte Weib, das er für seinen künstlerischen Zweck
zum Modell gewonnen hatte, so lange er malte, wirklich
nicht mehr als die weiße Schneefläche, die hellgelbe
Hauswand, der wettergeschwärzte Sägebock und die glanz-
lackschwarze Equipage. Und darum schalt er Bergs
Verhalten unkünstlerisch und gelegentlich auch unmännlich,
wenn dieser alle Viertelstunden seine Arbeit unterbrach,
um der alten Frau draußen ihre schwierige Aufgabe in
etwas zu erleichtern. Gleich im Anfang hatten sich aus
dieser Verschiedenheit Kämpfe ergeben: Berg hatte eine
warme, gutgesüttcrte Jacke mitgebracht und eine ebensolche
Kapuze. „Sind Sie denn verrückt geworden", hatte Keil
ihn angeschrieen; „wer solche Sachen tragen kann, der
stellt sich nicht mitten in den Schnee, um notdürftig sein
Geld durch Holzsägen zu verdienen. Wir müssen die
Alte so malen, wie es der Wirklichkeit entspricht. Sonst
ist die ganze Sache Possenreißerei!" Auch gelegentlich
meines Besuchs gerieten die Herren an einander und ich
konnte nicht umhin, dem rauhen Gegner meines zart-
fühlenden Freundes recht zu geben, als er sagte: So
lange die Frau, die ja noch ganz rüstig sei und wohl wisse
was sie thue, sich auf diese Weise ihr Geld verdiene, so
habe sie die bezahlte Leistung während der ausgemachten
Zeit prompt zu erfüllen. Berg verwöhne und verweichliche
sie nur, und mache die arme Person — wenn man die
Zukunft bedenke — schließlich nur noch unglücklicher.

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