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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Lange, Konrad von: Realismus, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0111

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KealiMuF.

von Prof. Or. Nonrad Lnnge.

(^chlutz a. d. dor. Nachdruck verboten.

<s^llu gleicher Weise kann es auch nicht als Ausgabe der Malerei betrachtet werden, die Menschen über die
Häßlichkeit und Durstigkeit des irdischen Daseins emporzuheben, ihnen ein Paradies schöner Gegenden und
erhabener idealer Wesen vor Augen zu zaubern, sondern einfach ihre Freude an der Natur, so wie sie wirklich
ist, zu wecken und zu steigern, ihnen zu zeigen, daß es in der Natur zahllose kleine unbedeutende und schein-
bar häßliche Dinge giebt, die unser Interesse verdienen, uns im Gewände der Kunst schön erscheinen.

Daß der Künstler vorwiegend das Interessante als Gegenstand seiner Darstellung wählen wird, liegt
ja in der Natur der Sache. Aber gerade die Malerei in ihrer historischen Entwicklung kann zeigen, daß die
Forderung des „Menschlichbedeutenden" nicht in die normative Aesthetik gehört. Wo kämen wir sonst mit der
Landschaft, dem Stillcben, dem Blumeustück, dem sogenannten „niederen" Genre hin? Es ist ein einfacher
Rückfall in die idealistische Aesthetik unserer Klassizisten und Romantiker, wenn man neuerdings wieder Rang-
untcrschiede in Bezug aus die Stoffgebiete der Kunst aufstellt, in der Malerei z. B. die Darstellung der nackten
menschlichen Gestalt höher schätzt, als die der Landschaft. Unter dem Vorgeben, der individuellen Freiheit
vollkommenen Spielraum zu gewähren, knebelt diese jüngste Aesthetik das künstlerische Schaffen in unzulässiger Weise.

Auf der anderen Seite steht nun aber dieser Realismus auch in einem bewußten Gegensatz zum
Naturalismus, insofern er durchaus nicht darauf ausgeht, die Kunst mit der Natur zusammenfallen zu lassen,
sondern vielmehr die Verschiedenheit des Kunstwerkes von der Natur aufs strengste festhält. Diese Verschieden-
heit ergicbt sich schon aus dem Prinzip der bewußten Selbsttäuschung. Denn es liegt ja im Wesen der bewußten
Selbsttäuschung, daß Natur und Kunst nicht zusammenfallen können, daß der Unterschied beider dem Genießenden
vollkommen bewußt bleiben muß. Besteht doch der ästhetische Genuß nach diesem Prinzip eben darin, daß
man sich in das künstlerisch Vorgetäuschte hineiuzuversetzen sucht, obwohl man sehr gut weiß, daß es nicht
Wirklichkeit, sondern Schein ist. Eine Kunst, die darauf ausgeht, eine wirkliche Täuschung hervorzurufen, ist
demnach nicht Kunst, sondern Betrug. Eine solche Kunst existiert aber tatsächlich nur in der Theorie des
Naturalismus. In Wirklichkeit kann ein eigentliches Kunstwerk (von den Spielereien der Wachsfigurenkabinette
und Panoramen, den älteren Automaten und sog. „Illusionen" unserer Jahrmärkte sehe ich natürlich ab)
niemals mit der Natur verwechselt werden. Bei einem Bilde muß schon der Rahmen, dann die Flächen-
haftigkeit der Darstellung, der Glanz des Firnisses u. s. w. die Illusion immer wieder zerstören. Gerade deshalb
soll aber, wie gesagt, der wahre Künstler die Art der Naturwahrheit diesen äußeren Bedingungen anpassen,

Die Kunst für Alle XIV. e. IS. Dezember 1898. , ,
 
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