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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Mortimer, Richard: Berliner Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0133

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von Richard Mortimer.

Mitteln keinen Gebrauch machen, fragt man sich mit
Recht, weshalb sie überhaupt Farbe und Pinsel nehmen
und nicht lieber gleich ein Material, das dem Wesen
ihres Ausdrucks vielmehr entspricht und ihren Werken
erst Stil geben würde, z. B. Mosaik oder vielleicht auch
Textil-Technik.

Schulte begann seinen Winter-Cyklus auch mit
Klingerund zwar mit einer Reihe Entwürfen des Künstlers,
die zu dem Interessantesten gehören, was die Herbst-Aus-
stellungen überhaupt brachten. Es waren farbige Skizzen,
anscheinend für Wandbilder, in denen die ganze, seltsame
und großartige Welt, die Klingers Genius zu gestalten
vermag, zum Leben ersteht. Es giebt ein kurzes Gedicht
von Mörike, welches beginnt: Du bist Orplid mein Land,
das ferne leuchtet; vom Meere dampfet dein besonnter
Strand den Nebel, so der Götter Wange feuchtet. —
In diese Sphäre etwa gehört die Stimmung, die Klingers
Bilder verbreiten. Nicht deswegen, weil Kentauren und
Nymphen dargestellt sind; es ist der Dunstkreis der
Bilder, der den Beschauer mit zwingender Gewalt in sich
hineinzieht und eine Wirkung ausübt, deren Ursache man
vielleicht nicht angeben kann, die man aber doch aufs
stärkste empfindet. Auch die neue Ausstellung bei Schulte
bringt einzelnes Interessante, so besonders G. G. Rogers
»bantaisie ckecorative«, vom vergangenen Salon in
Paris, bei der ein seltsam musikalischer Wohlklang im
Formalen wie Koloristischen das Hauptmotiv bildet. Ein
Bild von Meunier „Die Auswanderer", ein kleiner
Paterson, einige der großzügigen schönen Landschaften
Urbans, einige neuere Franzosen, Aquarelle des Schotten
Kay, einige Thoma und ein gut gemaltes, aber hohles
Bild von Block, „Christus und die Ehebrecherin", wären
zu nennen.

Gurlitt begann, als Dritter im Bunde, ebenfalls
mit Klinger und zwar mit dem Bilde „Sommerglück",
mit seltsam großartigen Frauengestalten, und jenem kleinen
Anfängerwerk „Spaziergang", das in Hanfstaengls Klinger-
Werk reproduziert ist. Ein neues Bild von Ludwig
von Hofmann gehört zum Schönsten, was dieser Künstler
geschaffen. Auch die November-Ausstellung ist äußerst
interessant mit einer großen Reihe Feuerbachscher Werke,
die zum Teil gar nicht oder wenig bekannt waren. Es
ist seltsam, wie sich Feuerbachs Kunst mit der heutigen
berührt. Man empfindet ihn heute direkt als Vorläufer
einer großen Anzahl modernster Künstler, mit dem Unter-
schiede, daß diese heutigen weniger dekadent erscheinen
als er. Interessant sind einige Bilder von Frau Th oma,
der Gattin des Frankfurter Meisters, in denen sie sich
als Schülerin ihres Mannes erweist, ihn aber in einem
übertrifft: sie hat nämlich manchmal noch weniger Ge-
schmack wie er. Noch erwähnt sei Anetsbergers vorzüg-
liches „Herrenporträt" von der Münchener Secession.

- Sehr vielversprechend begann Cassirer. Eine Reihe
kleiner Räume in vornehmster Lage im Tiergartenviertel,
ganz bescheiden zurückgezogen, wie gemacht für intimste
Kunst. Die Einrichtung ebenfalls von van de Velde;
edel, vornehm, einfach, etwas exotisch zwar, daß man
nicht immer drin wohnen möchte, aber für den Zweck
tadellos. Und in diesem Milieu eine feine Zusammen-
stellung der Werke dreier Künstler: Liebermann, Degas,
Meunier. Liebermann ist mit einem Mal so zur An-
erkennung gelangt, daß man fast fürchten möchte, daß er,
der allein stehen muß, Schule machen, Einfluß gewinnen

könnte. Das wäre schade. Liebermann ist eine Er-
scheinung für sich, schwer einfügbar, anziehend mit seinen
genialen Qualitäten samt Schwächen. Er steht eben
ganz für sich und kann auch nur so genossen werden.
Ein paar hundert kleiner Liebermanns wären ein Verderb
für die deutsche Kunst. Ein Nachahmer, ein Schüler
würde sich nur an das Neuerliche, seine Schwächen halten

Lin Mönch. Hugo Zrhr. von Habermann p!nx.

Das Original in der Kgl. Neuen Pinakothek zu München.

können; es giebt eben nur einmal einen Liebermann und
der ist trotz seiner Schwächen groß. Was er äußerlich
giebt, was sich von ihm lernen ließe, ist gering; im
Ausland und auch jetzt in Deutschland giebt es viele,
die viel mehr können. Er ist ein Erfinder von Problemen,
kein restloser Löser. Seine Kunst ist die Darstellung
von Existenzen, die eine arme, kleine, traurige Welt in
sich tragen und vielleicht steckt darin gerade Liebermanns
Größe, ein Zug großartiger Menschlichkeit, wie sie
Rembrandt besessen haben muß. Liebermann malt keine
Bilder, er setzt sich mit der Welt, seiner Welt, aus-
einander, die Form, in der sich die Aeußerungen seiner
Individualität Niederschlagen, ist ihm gleichgültig, er scheint
keinen Wert darauf zu legen. Es ist lediglich I'art pour

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