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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Mortimer, Richard: Berliner Kunstbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0134

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Berliner Kunstbrief.

I'art. Keine Spur einer Kunst, die aus ihrem jeweiligen
Zweck und ihrem Material herauswächst, die im richtigen
besten Sinne verstanden: Stil hat, wie die alten Meister.
Daher seine dekorative Askese. Wo andere fein abwägen,
ist bei ihm ein unbekümmertes Drauflosgehen, wo andere
musikalischen Rhythmus suchen, klingen bei ihm Natur-
laute. Er hat keine Spur von architektonisch-formalem
Empfinden, braucht es auch nicht, da er nirgends darauf
ausgeht, ureigne Formen neu zu gestalten. Auch keine
Spur von Spekulation, zu der Liebermanns Kunst einen

absichtlich wenig mehr Gebrauch; er fühlt wohl eine
andere, größere Mission in sich und meint sich nicht
mit Dingen abgeben zu müssen, die andere auch geben
können, und schießt dabei oft über das Maß des
Nötigen hinaus.

Liebermann darf nicht Maßstab für andere werden,
er ist an einem Platze, den andere nicht ausfüllen können,
so wenig er auch Aufgaben anderer zu lösen imstande
wäre. Es ist auch eine ganz unnütze Erwägung, zu
fragen, wie Wohl Liebermann wäre, wenn er die Kunst
anders, wenn er sie weiter fassen könnte,
als er es thut. So wie er ist, ist er eine
Persönlichkeit, auf die die deutsche Kunst
stolz sein könnte.

Liebermann soll ein großer Verehrer
von Degas sein. Es ist dies verständlich.
Auch dieser giebt I'art pour I'art. Anderer
Art: geistreiche malerische Leckerbissen, in
denen raffiniert koloristische Klänge und der
rücksichtslos erzwungene Ausdruck des Charak-
teristischen Selbstzweck sind. Bei jenen findet
er Klänge von berauschender Schönheit, von
einer Eigenart, einer Kühnheit, wie sie nur
ganz wenigen verliehen. Und dann das
Seltsame: Was für ein Mensch leiht uns
hier seine Augen, welch seltsamer Natur ist
die Psyche, in die zu schauen uns die Kunst
allein ermöglicht. Empfindet er denn zu
gleicher Zeit Lust durch die Musik der Farben
und Ekel vor der Form und giebt ihnen
Ausdruck? Das widerspräche ja aller kunst-
physiologischen Erfahrung. Aber die That-
sache, daß in diese Schöpfungen hinein ge-
bannt und verbunden mit ihnen seelische
Werte sind, die höchstes Mißbehagen, pein-
lichen, nicht zu unterdrückenden Widerwillen
erzeugen, ist da; wir stehen im Zwange der
Notwendigkeit, ihn uns zu erklären. Allein
aus der Einheit der Persönlichkeit heraus
dies zu thun, ist ein schwer zu lösendes
Problem. Lassen sich solche Idiosynkrasien
überhaupt intellektuell verfolgen? Darf hier
die Kritik Richter sein wollen? Bleibt nicht
allein ein resignierendes Konstatieren der
Thatsache übrig, ein „hier stehe ich und dort
stehst du"? Unser Abstand allein ist die

förmlichen Protest bildet. Ein empirischer Beweis, daß
Spekulation Kunst tötet, kann genau auf dem Wege der
Empirie — am besten bei den Alten — widerlegt werden.
Es kommt doch nur stets darauf hinaus, ob eben einer
ein großer Künstler ist oder nicht, und daß den einen
ein starker Wein betrunken macht, beweist nicht, daß er
den andern nicht stärkt und begeistert. Liebermann ist,
als Kulturprodukt genommen, vielleicht weiter nichts als
ein Ergebnis des Protestes gegen den hohlen Formalismus,
der in Deutschland so lange sich breit machte. Auch damit
soll nicht gesagt sein, daß die höchste Ausbildung auch
des Formalen nicht genau so ein Ziel bester Kunst sein
könnte, was sich wieder empirisch beweisen ließe. Lieber-
mann macht auch von seiner großen malerischen Begabung

Kritik.

Meunier, der dritte des Kleeblatts,
ist in Berlin kein Neuling mehr. Seine
Kollektivausstellungen in Dresden und bei Keller und Reiner
haben ihn mit einem Schlage zu einem der bekanntesten
ausländischen Künstler in Deutschland gemacht und es ist
schon so viel von ihm gesagt, daß man sich hier kurz
fassen kann. Auch er greift mitten hinein in das Gebiet
der sozialen Frage, ohne auch nur den Versuch zu machen,
ein pro oder contra zu wählen, ohne eine Spur von
Tendenz zu zeigen. Er ist nur Bildhauer, ihn interessiert
nur die Existenz, die visuelle Erscheinung der Arbeit. —
Fast zu derselben Zeit wie die Münchener Künstler
erhielten die Berliner ihr eigenes „Haus". Wir können
nicht auf die Vor- und Entstehungsgeschichte eingehen,
sondern wollen nur über das Geschaffene mit wenig
Worten berichten. In der schönsten Lage Berlins, hart
 
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