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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Mortimer, Richard: Berliner Kunstbrief
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Grillparzer, Franz: Gedanken
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0137

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Berliner Kunstbrief. von Richard Mortimer.

ein Paar gute Arbeiten, die man herzählen kann, nur den
Gradmesser, an dem einem das tiefe Niveau des Ganzen
klargemacht wird. Es wäre dies ja ein ganz guter Vor-
wand, auch dieses wenige Gute hinauszuthun. Dazu ge-
hören einige Arbeiten von Reinhold Lepsius, dem vor-
nehmsten Porträtmaler Berlins, dessen ungemein distinguierte
Bildnisse nur Kaviar fürs Volk wären, wenn sich nicht
allmählich eine kleine Gemeinde bildete, die zu würdigen
weiß, was Berlin an einem Lepsius hat. Auch Dora
Hitz gehört hierhin. Lippisch ist ein feines, suchendes
Talent, das diesmal keine recht abgeschlossene Leistung
bringt, aber doch durchaus ernst genommen zu werden ver-
dient. Der malerisch begabte Kurt Herrmann, dessen
Talent mehr in die Breite, als in die Tiefe geht, würde
mit zu den Besten Berlins gerechnet werden müssen, wenn
seine Arbeiten die Intimität, die sie prätendieren, wirklich
besäßen. Aber sie sind zu impressionistisch, um als deko-
rative Arbeiten zu gelten und auch nicht fein genug, um
als intime genommen zu werden. Immerhin steht er in
seinem Streben hoch über dem Berliner Durchschnitts-
künstler. D ettmann ist ein ins Handwerklich-illustrations-
mäßige übersetzter Liebermann. Dabei zeigt er viel Bravour
und Virtuosentum und giebt zum Schluß doch Oede.

«änstlerhaus Vestibül und

zu Berlin. Haupttreppe.

Zürcher, ein kräftiges Talent, sucht im Dekorativen ver-
tiefte Stimmung zu geben. Sonst wäre kaum etwas zu
nennen. Irgend ein großes Bild zeigt, wie der Sym-
bolismus aussieht, wenn er akademisch geworden; es
könnte von dem Dresdner Sascha Schneider herrühren,
so handgreiflich plump und aufdringlich ausgedacht ist es.
Und lehrhafte Visionen wirken fatal.

Es wäre schade, wenn die guten Räume des Künstler-
hauses nun allmählich dauernd der billigen Mittelware
anheimfallen sollten, wie die große Berliner Ausstellung.
Jedenfalls müßte, um Besserung herbeizuführen, viel aus-
ländische Kunst herbeigezogen werden, da die Berliner
Produktion noch lange nicht ausreichen dürfte, um die
Räume zu füllen, besonders wenn man bedenkt, was die
anderen Salons davon — meist das beste — in An-


spruch nehmen. Und es wäre dem Berliner Künstler
ganz besonders zu empfehlen, sich doch recht intensiv mit
guter ausländischer Kunst zu beschäftigen und wenigstens
seinen Geschmack etwas zu kultivieren. Denn boden-
lose Unkultur ist es, was die breite Masse der Berliner
Maler kennzeichnet, und von dem Gesichtspunkte aus ist es
gar nicht genug zu schätzen, daß gerade Keller und Reiner
und wie sie alle heißen, das beste der internationalen
abstrakten und angewandten Kunst vorzuführen sich an-
schicken. Und sollte man nicht mit Recht an das „Künstler-
haus" einen weit strengeren Maßstab anlegen dürfen,
wie an jene Geschäftsleute?

Lin Kunstwerk muß sein wie die Natur, deren verklärtes
Abbild es ist : für den tiefsten Forscherblick noch nicht ganz
erklärbar; und doch schon für das bloße Beschauen etwas, und
zwar etwas Bedeutendes. Wer etwas schafft, das der gemein-
menschlichen Fassungskraft nichts ist und erst der tiefsinnigen
Reflektion sich gestaltet, hat vielleicht ein philosophisches Problem
glücklich in poetischer Einkleidung gelöst, aber er hat kein Kunst
werk gebildet. Grillparzer.
 
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