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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Pecht, Friedrich: Genie und Talent in den bildenden Künsten
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0158

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Genie und Talent in den bildenden Künsten, vom Herausgeber.

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pbotograxliieverlag der Photographischen Union in Mönchen.


Genie und GÄent in den bildenden Aünsten.

vom Herausgeber.

aß alles ganz Neue und Gewaltige zunächst gewöhn-
lich abstößt, ist eine alte Erfahrung. Nichts ist
darum leichter zu unterscheiden, als die Arbeit des
Genialen von der des Talentvollen. Denn das Wesen
des Genies besteht eben darin, daß es eine ganz selbst-
ständige und eigenartige Weltanschauung von allem Anfang
an entwickelt, während das Talent nichts eigentlich Neues
hervorbringt, sondern sich nur immer die Art irgend eines
Vorgängers aneignet. Natürlich ahmt auch der Genialste
anfänglich Vorbilder nach, aber er thnt es immer auf
so eigenartige Weise, daß man sofort sieht, wie er nicht
nur seine eigene Welt, sondern auch seine eigene Hand-
schrift, sie wiederzugeben, besitze. Wäre das Genie nicht
so selten und das Talent im Gegenteil sehr häufig, so
wäre das alles längst bekannt, jetzt aber verwechselt man
beständig die verblüffende Leichtigkeit des Schaffens, die
das Talent auszeichnet, mit der oft schwerfälligeren, aber
gleich von Haus aus selbständigeren Schaffensart des
Genies. Sein Ringen mit der ihm angebornen eigen-
artigen Auffassung der Natur gilt darum oft selbst für
Talentlosigkeit; die meisten wirklich genialen Künstler
haben es darum gewöhnlich viel später zur Anerkennung
gebracht, als die Besitzer eines alle Welt durch seine
Leichtigkeit bezaubernden, glänzenden Talents, das jeder-
mann fesselt, während die Genialen nur zu oft durch ihre

Art eher abstoßen. Schon weil sie gar nicht im stände
sind, sich ruhig auf gebahnten Wegen fortzubewegen,
sondern es nie lassen können, immer querfeldein einem
nur ihnen bekannten Ziele nachzulaufen.

Unstreitig ist Menzel der genialste deutsche Künstler
unseres Jahrhunderts. Nach ihm war es Makart. Nun,
obwohl der erstere schon sehr früh nach Berlin kam und
als gewandter Zeichner bald alle Welt verblüffte, so
brauchte der jetzige Achtziger doch die ganze erste Hälfte
seines Lebens, um es als Maler auch nur zu einiger
Anerkennung zu bringen; den meisten flößte seine rück-
sichtslose Art, die Natur wiederzugeben, Widerwillen, ja
oft geradezu Abscheu ein. Der Idealist Makart vollends
galt in der Schule ob seines in sich gekehrten Wesens
als unheilbarer Trottel und erhielt noch auf der Wiener
Akademie nach einjährigem Besuch ein wohlgemeintes
„Consilium abeundi". Auch dem jungen Cornelius ward
bekanntlich auf der Akademie weise geraten, ein anderes
Handwerk, z. B. das des Schusters zu ergreifen. Liegt
das nun hauptsächlich an der eigensinnigen Art des
Genies, so doch auch daran, daß man so selten Gelegen-
heit hat, sie zu studieren! Denn wenn man im ganzen
vorigen Jahrhundert höchstens dem Rafael Mengs bei
uns eine geniale Begabung zugestehen kann, so braucht
es dann fast dreißig Jahre, bis der Holsteiner Idealist
 
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