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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Woermann, Karl: Goethe in der Dresdner Galerie, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0274

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von Aarl Woermann.

Zinsen dem ganzen
Lande zu gute ge-
kommen. Erst seit
1852 fing man
allmählich wieder
an, die Sammlung
älterer Gemälde zu
vermehren. Aber
was in der zweiten
Hälfte des neun-
zehnten Jahrhun-
derts an Meister-
werken der alten
Malerei für die
Dresdner Galerie
erworben worden,
so beachtenswert
es ist, ist doch nur
wenig, mit den
Schätzen ver-
glichen, die ihr in
der ersten Hälfte
des achtzehnten Jahrhunderts zugeführt wurden. Von den
Gemälden älterer Meister, die heutzutage zu den Perlen
der Dresdener Galerie gerechnet werden, haben doch nur
einzelne, wie Dürers kleiner „Christus am Kreuz", wie
Mantegnas „heilige Familie", wie die „heiligenSebastiane"
von Cosimo Tura und von Antonella da Messina, wie
Zurbarans „heiliger Buonaventura", wie Murillos „hei-
liger Rodriguez" und „Tod der heiligen Clara", dazu
einige niederländische Landschaften und Stilleben, erst in
den letzten fünfzig Jahren ihren Einzug in Dresden ge-
halten. Die übrigen waren alle schon da, als Goethe
die Galerie zum erstenmale betrat. Raphaels „Sixtina",
Tizians „Zinsgroschen", Andrea del Sartos „Opfer
Abrahams", Correggios vier große Altartafeln, Paolo
Veroneses vier große Bilder 'aus der Familie Cuccina,
alle Bilder von
Rubens, van Dyck,

Rembrandt, von
Claude Lorrain und
von Ruisdael, von
Dou, Metsu, Mieris,

Netscher, von Ter-
borch und von Ver-
meer van Delft, sie
alle befanden sich
schon in der Dresdner
Galerie, als der junge
Goethe sie 1768 be-
suchte. Die großen
Italiener und Nieder-
länder nahmen alles
Interesse in Anspruch;
und ihreBilder waren
auch meistens schon
den richtigen Meistern zugeschrieben. Die Altdeutschen aber,
selbst die großen deutschen Meister des sechzehnten Jahr-
hunderts, kannte man im vorigen Jahrhundert nicht.
Man kann sich nicht Wundern, daß Winckelmann, Mengs
und viele andere nicht viel von ihnen wissen wollten
und sie falsch beurteilten, wenn man sieht, wie gründlich
sie in der Dresdner Galerie, in der diese Männer sich

ihr Urteil ge-
bildet, verkannt
wurden. Das
einzige echte Ge-
mälde Holbeins,
das die Galerie
damals besaß —
denn das kleine
feine Doppel-
bildnis vonVater
und Sohn befand
sich damals zwar
schon in Dres-
den, aber noch
nicht in der
Galerie —, das
berühmte Bild-
nis des Morette,
hing und ging
unter dem
Namen Leonardo
da Vincis. Dafür
trugen nicht weniger als zehn andere Bilder, ein-
schließlich der schönen Kopie nach Holbeins Darmstädter
Madonna, den Namen des Meisters mit Unrecht. Und
wie unendlich verschieden waren diese Holbein zuge-
schriebenen Bilder unter sich, und von wie schwachen
Händen waren sie zum Teil gemalt! Wahrlich, man
errötet in der Seele des großen deutschen Meisters,
wenn man sieht, welche Vorstellung man damals in
Dresden von ihm hatte. Dürer erging es nicht viel
besser. Sein geistvoll altertümlicher „Wittenberger Altar"
war damals noch nicht in der Galerie aufgestellt; sein
feiner kleiner „Christus am Kreuze", wurde, wie gesagt,
erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts erworben;
nur Dürers 1521 in Antwerpen oder Brüssel gemaltes
Bildnis des Barend van Orley befand sich damals bereits

in der Galerie und
trug des Meisters
Namen mit Recht.
Neben diesem aber
wurden nicht weniger
als sieben andere
Bilder der Dresdner
Galerie irrtümlich
auf Dürer zurück-
geführt; auch unter
ihnen manches un-
glaublich schwache
Werk, aber freilich
auch so tüchtige Bil-
der, wie Jan van
Eycks kleines Flügel-
altärchen und des
Meisters des Todes
Mariä große „An-
betung der Könige". Der Verstand steht einem still,
wenn man sieht, daß diese beiden von einander grund-
verschiedenen Bilder, zwischen denen ein Jahrhundert
und eine Welt liegt, damals der gleichen Hand und
obendrein der Hand Dürers zugeschrieben werden konnten.
Selbst Cranach, den altsächsischen Meister, hatte man
vergessen, wie man ihn zum Teil noch heute nicht

Meister des Todes Mariä.
Die (große) Anbetung der Könige.

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Vermeer van Delft. Lesendes Mädchen.

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