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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Mortimer, Richard: Berliner Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0280

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Berliner Brief, von Richard INortimer.



Berliner Brief.

von Richard Morriincr.


^lo gut und oft ausgezeichnet das, was man in Berlin in
^ den Kunsthandlungen zu sehen bekommt, auch meistens ist,
so wenig gut hebt sich die eigene Berliner Produktion, mit
ganz beschränkten Ausnahmen, davon ab. Geschicklichkeit,
sogar ein gewisser Grad von Können ist reichlich vorhanden;
mit den Aufgaben, die die moderne Kunst bietet, hat man sich
vertraut gemacht. Und doch ist es nichts als Schalheit, Ober-
flächlichkeit, was dabei herauskommt. Wie selten das fesselnde Bild
einer wirklichen Persönlichkeit, die nicht allein etwas Eigenes
zu sagen hat, sondern der zu lauschen es auch der Mühe lohnt.
Phrasen, Phrasen, nichts als redegewandte Phrasen sind es, die

L. von Hof mann p!vx. (1898).

man zu hören bekommt. Die Persönlichkeiten sind unglaublich
dünn gesät hier. Das Gesamtbild der Berliner Produktion steht
im Zeichen innerer Hohlheit und nur im besten Falle sind es
Imitationen guter Vorbilder. Grausen empfindet man vor der-
artigen Arbeiten; und wenn man länger mit solchen Bildern
zusammen leben müßte, legte es sich einem wie Alpdruck aufs
Herz, wie wenn man dauernd in der quälenden Gesellschaft
geschwätziger Hohlköpfe verweilen müßte. Es ist ja eine Utopie,
zu verlangen, daß unter hundert Malern hundert Persönlichkeilen
wären. Aber ein wenig davon, ein wenig Liebe wenigstens
könnte doch auch der bescheidenste, den es zur Kunst getrieben,
zeigen. Aber überall sieht man nur gedankenlose Flüchtigkeit,
nirgends Vertiefung, emsiges Hineintragen aller Empfindungen,
Ausleben im Werk. Und wie ist dies anders möglich. Dutzende
und Dutzende von Bildern sieht man von einem und demselben
Maler in einem und demselben Winter. Eine Produktion, wie
sie kaum den reichsten Naturen beschicken ist, wird prätendiert.
Alle wirklichen Meister stimmen darin überein, daß das Aus-
reisen eine der wichtigsten Bedingungen für alle Kunst ist.
Aber selbst vom Willen zum Ausreisen hier keine Spur. Jeder
kleinste Ansatz zur Knospe wird vorschnell vom Ast gerissen und
mit dem Anspruch in die Welt geschickt, daß es sich um Werke
handle, welche zu sehen eine Bereicherung wäre. Auf diesem
Wege ist nichts zu hoffen. Vielleicht ist die Schuld daran mehr
den sozialen Schäden, als dem einzelnen Individuum zur Last
zu legen. Aber eine Thatsache bleibt es, die nicht weggeleugnet
werden kann.

Im Reichstag hat sich wieder einmal ein Abgeordneter
blamiert, indem er unvorsichtigerweise seine Ansichten über Kunst
laut werden ließ. Ein Mann, dessen Kunstanschauungen, wenn
anders hier überhaupt von solchen gesprochen werden kann, so
inferiore sind, wie seine Aussprüche zur Genüge gezeigt haben;
dem Kunst überhaupt terra incoZlüm zu sein scheint, wagt über
einen Meister des erlesensten Geschmacks, wie Hildebrand, über
den bedeutendsten Künstler des Dekorativen, den Deutschland
besitzt, über Stuck, in einem Tone zu reden, als spräche er von
Schulbuben. Welche Naivität gehört dazu, seinen eigenen
spießbürgerlichen Standpunkt für so wichtig zu halten, um
ihm vor versammelten Haus Ausdruck zu geben. Doch ver-
suchen, die Worte zu widerlegen, hieße ja sie ernst nehmen.
Und das wäre zu viel Ehre.

Mit dem herankommenden Frühjahr scheint ein Nach-
lassen des im Winter so heftigen Wettbewerbes der Kunst-
ausstellungen einzutrelen. Nur bei Cassirer ist etwas
Außerordentliches zu sehen: die Werke dreier großer Künstler,
Segantini, Manet, Monet. Die Verehrung, die man den
beiden letzteren Namen zollt, ist auch in Deutschland nicht mehr
neuen Datums. Gerade Berlin hat mehrfach Gelegenheit ge-
boten, die Bekanntschaft mit Werken von ihnen zu machen, doch
 
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