Bilder zu Brentanos Märchen. Von Richard Benz
Wer vom „romantischen Märchen" spricht, der denkt Kind auf in der Ursprache vertraut war. Aber man
an Novalis, Tieck und Hoffmann; denkt selten an braucht nur an die bekanntesten von diesen „Italie-
Brentano — und fast mit Recht. Denn wer in der nischen Märchen", an den Gockel oder das Myrthen-
Literaturgeschichte nachliest, erfährt, daß auch die fräulein zu erinnern, und man weiß, welche Schöpfer-
romantischen Zeitgenossen beim Märchen nicht an kraft jene fremden, oft rohen und frivolen Geschieh -
Brentano dachten, nicht denken konnten: sie kann- ten zu reinsten deutschen Gebilden umschuf,
ten Brentanos Märchen nicht; denn diese kamen, mit Der andere Märchenzyklus spielt am Rhein, ist eigene
einer einzigen Ausnahme, an die Öffentlichkeit erst Erfindung, die manches Bild lokaler Sage in freiestem
nach Brentanos Tod; und als sie, 1846, erschienen, Schalten sich verflicht. Aber diese „Rheinmärchen'"
war die romantische Bewegung längst vorüber. haben wiederum nichts mit damaliger und späterer
Aber auch abgesehen davon, daß nur einige wenige Rhein-Romantik zu tun — sie ruhen in sich als eine
Freunde und Vertraute die Märchen bei Lebzeiten einmalige Welt fast gläsern-unberührbar. Der Dich-
des Dichters zu Gesicht bekamen, manchmal sie auch ter, der schon im „Godwi" einen echten Mythos
nur hörten in seiner münd-
lichen Improvisation — die
Wortführer der Romantik
hätten wenig darin wieder-
gefunden von dem, was sonst
das Märchenihnen als „Kanon _ .
der Poesie", als weltanschau-
liche Symbolik, als Ahnung
vom Unendlichen und Pforte
zum Geisterreich bedeutete. .. ,
Brentanos Märchen haben I
nichts von dem allegorischen f~
Tiefsinn des Märchens in §&. . - •■
Novalis Ofterdingen; nichts & '
von den Schauern und Dämo- <S .■<
nien inTiecks Blondem Eck- :>
bert,Elfen,Runenberg; nichts C'"'-\ \
von der phantastischen Ver- \j /7$Sf\ n
mischung von Realität und /
höherer Sphäre, in welche
E.T. A. Hoffmanns Goldener
Topf uns hinreißt.
Brentanos Märchen sind
Märchen eines Bomantikers,
nicht typisch romantische
Märchen — sie sind nach <y
Gehalt und Sinn, nach Stoff
und Stil von allen andern
geschieden. Sie sind Natur-
dichtungen, am ehesten dem
Volksmärchen verwandt, wie
es unter seiner Leitung die
Brüder Grimm wiederent-
deckten; und sind doch un-
verwechselbar persönlich. Er ,-
schöpft aus anderen Quellen,
er sieht eine andere Land-
schaft, er meint eine andere,
reinere kindhafte V elt, als
wozu selbst die hohe Zeit \j>: ^f"t? ^KK | \ " ' Y^ftX -- •«—-it-
der Romantik sonst einen Zu- 1/.! y# Missen Cr $ •-' ■• H& !/v 7 Vv ^ '/ a&£
gang hatte. Einen Teil die- a1^ ■ - 1 ' -._ _ . rS M N / A
ser Geschichten verdankt ' f '
Brentano seiner halbitalieni-
schen Herkunft: er hat vieles
dem Pentamerone des Basile Petra Clemen. Müller Radlauf und die Prinzessin Ameleya
nacherzählt, der ihm von Illustration zu Brentanos Märchen
Mm
91
Wer vom „romantischen Märchen" spricht, der denkt Kind auf in der Ursprache vertraut war. Aber man
an Novalis, Tieck und Hoffmann; denkt selten an braucht nur an die bekanntesten von diesen „Italie-
Brentano — und fast mit Recht. Denn wer in der nischen Märchen", an den Gockel oder das Myrthen-
Literaturgeschichte nachliest, erfährt, daß auch die fräulein zu erinnern, und man weiß, welche Schöpfer-
romantischen Zeitgenossen beim Märchen nicht an kraft jene fremden, oft rohen und frivolen Geschieh -
Brentano dachten, nicht denken konnten: sie kann- ten zu reinsten deutschen Gebilden umschuf,
ten Brentanos Märchen nicht; denn diese kamen, mit Der andere Märchenzyklus spielt am Rhein, ist eigene
einer einzigen Ausnahme, an die Öffentlichkeit erst Erfindung, die manches Bild lokaler Sage in freiestem
nach Brentanos Tod; und als sie, 1846, erschienen, Schalten sich verflicht. Aber diese „Rheinmärchen'"
war die romantische Bewegung längst vorüber. haben wiederum nichts mit damaliger und späterer
Aber auch abgesehen davon, daß nur einige wenige Rhein-Romantik zu tun — sie ruhen in sich als eine
Freunde und Vertraute die Märchen bei Lebzeiten einmalige Welt fast gläsern-unberührbar. Der Dich-
des Dichters zu Gesicht bekamen, manchmal sie auch ter, der schon im „Godwi" einen echten Mythos
nur hörten in seiner münd-
lichen Improvisation — die
Wortführer der Romantik
hätten wenig darin wieder-
gefunden von dem, was sonst
das Märchenihnen als „Kanon _ .
der Poesie", als weltanschau-
liche Symbolik, als Ahnung
vom Unendlichen und Pforte
zum Geisterreich bedeutete. .. ,
Brentanos Märchen haben I
nichts von dem allegorischen f~
Tiefsinn des Märchens in §&. . - •■
Novalis Ofterdingen; nichts & '
von den Schauern und Dämo- <S .■<
nien inTiecks Blondem Eck- :>
bert,Elfen,Runenberg; nichts C'"'-\ \
von der phantastischen Ver- \j /7$Sf\ n
mischung von Realität und /
höherer Sphäre, in welche
E.T. A. Hoffmanns Goldener
Topf uns hinreißt.
Brentanos Märchen sind
Märchen eines Bomantikers,
nicht typisch romantische
Märchen — sie sind nach <y
Gehalt und Sinn, nach Stoff
und Stil von allen andern
geschieden. Sie sind Natur-
dichtungen, am ehesten dem
Volksmärchen verwandt, wie
es unter seiner Leitung die
Brüder Grimm wiederent-
deckten; und sind doch un-
verwechselbar persönlich. Er ,-
schöpft aus anderen Quellen,
er sieht eine andere Land-
schaft, er meint eine andere,
reinere kindhafte V elt, als
wozu selbst die hohe Zeit \j>: ^f"t? ^KK | \ " ' Y^ftX -- •«—-it-
der Romantik sonst einen Zu- 1/.! y# Missen Cr $ •-' ■• H& !/v 7 Vv ^ '/ a&£
gang hatte. Einen Teil die- a1^ ■ - 1 ' -._ _ . rS M N / A
ser Geschichten verdankt ' f '
Brentano seiner halbitalieni-
schen Herkunft: er hat vieles
dem Pentamerone des Basile Petra Clemen. Müller Radlauf und die Prinzessin Ameleya
nacherzählt, der ihm von Illustration zu Brentanos Märchen
Mm
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