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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 9.1911

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Heft 3
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Scheffler, Karl: Henry van de Velde und der neue Stil
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https://doi.org/10.11588/diglit.4706#0143

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Trotzdem wir es im Voraus schon wissen, dass er
nicht eigentlich ein Architekt ist und es in vollkom-
mener Weise nie sein wird, trotzdem wir wissen,
dass in ihm auch ein unausrottbarer Kleinkünstler,
ein Formendetaillist und Linienziseleur steckt, der
mit den Fingerspitzen die Schwellungen und Rip-
pungen des Materials abzutasten liebt und der alles
Monumentale immer auch artistisch zerkleinern wird,
trotzdem wir wissen, dass ihm nie das harmonisch
Reife, sondern immer nur das Bedeutungsschwere
und problematisch Kühne gelingen wird, gehurt
van de Velde doch mitten ins Bauleben hinein.
Nur in der klaren Luft des Bauplatzes können die
Grillen der Artistik und alle ultramodernen Ein-
seitigkeiten vergehen. Niemand hat sich mehr als
dieser in Deutschland wirkende Gallogermane den
Satz Goethes vor Augen zu halten, dass die Kunst
lange bildend war, ehe sie schön war. Wie er
denn auch selbst richtig geschrieben hat, die Schön-
heit sei nicht die erste Bedingung für die Entstehung
eines Stils.

Viele Dinge die noch nie geschaffen wurden,
hat van de Velde der Zeit schon geschenkt; sein
Eigentliches aber hat er noch nicht erschöpfend
gesagt. Er hat keine Einzelform eigentlich zurück-

gehalten; aber er ist noch nicht zu den Möglich-
keiten gekommen, seine Einzelformen in höchster
Weise anzuwenden. Er wird zu einer individuellen
Harmonie,zu etwas scheinbar Endgültigem gedrängt,
wo es doch seine Bestimmung ist, ein Anfang zu
sein und zu bleiben, wo die Kühnheit, die künstle-
rische Abenteuerlust das Wertvollste in seiner Natur
sind und wo er einem Columbus gleicht, von einer
Idee vorwärtsgetrieben, die er so einmal formuliert
hat: „Wir segeln mit der zauberhaften Vorstellung,
als könnten wir nach der erlösenden Reise um den
neuen Erdteil einen ungekannten, traumschönen
griechischen Archipel entdecken!"

Darum ist nachdrücklich nach Aufgaben für
van de Velde und für die Wenigen seines Geistes
zu rufen. Nach Aufgaben, die nicht Kommissionen
unterstehen, sondern in denen der Künstler sich
irren darf, um vom Baume des Irrtums die Frucht
des Gelingens zu pflücken. Ein einziger Sieg würde
sehr viele Opfer aufwiegen. Denn an einem solchen
Sieg erst würde sich lebendig knüpfen was van de
Velde selbst, der Zeit vorgreifend und mit küh-
nem Optimismus ein neues Zeitalter ahnend, mit
einem Programmwort formuliert hat: „Der neue
Stil."

HENRY VAN DE VEI.DE, THEESERV1CE. SILBER Ml

ELFENBEIN.

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