TH. GERICAULT, ZWEI STUDIEN
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HANDZEICHNUNGEN
AUS DEM LOUVRE
VON
OTTO GRAUTOFF
In den Handzeichnungen der Lateiner überwie-
gen, wie in ihren Bildern, formale und malerische
Tendenzen. Ihre Handzeichnungen sind Form-,
Bewegungs-, Licht-, Farben- und Kompositions-
studien, die entweder vor der Natur aufgenommen
worden sind oder als Einfall für die Gruppierung
eines Bildes Wert haben. Diese Entwürfe in Feder
oder Tusche spiegeln ein einzelnes, sinnliches Er-
lebnis oder sinnliche Beziehungen mehrerer Kör-
per untereinander wieder. Die Notizblätter der
Lateiner sind frei von Dogmatismus und Detaildeut-
lichkeit. Seltener als bei den Germanen sehen wir
bei ihnen Proportionsstudien, weniger häufig Kon-
struktionsfiguren, niemals die lehrhafte Art. Ihre
Figuren geben einen formalen und farbigen Abglanz
der Physis und des Instinktmässigen der Natur, sind aber nicht Träger eines Ethos. Wenn sie zwei
Gestalten zeichnen, schildern sie sie in ihren statischen, koloristischen und sinnlichen Verhältnissen,
lassen aber alle psychologischen Momente ausser Acht. Niemals beschwert sich ihre Kunst mit ge-
lehrtem Geist, niemals verwickelt sie sich im Spiritualismus und lässt sich durch Grübeln und Denken
dazu verleiten, die Ausdrucksmöglichkeiten der bildenden Kunst zu überschreiten.
Das haben dagegen Germanen in jedem Jahrhundert versucht. Dürers Tragik lässt es er-
kennen, die in einer Zeit des Übergangs ein so natürliches Produkt edler germanischer Gesinnung war.
Rembrandt, der in einer üppigeren und harmonischeren Kultur aufwuchs, that im Grunde genommen
das Gleiche. Er überschritt die Konventionen der Zeichenkunst seiner Zeit. Jede seiner Gestalten ist
Träger eines ErgrifFenseins von bestimmten Ideen, Anschauungen und Ereignissen. In seinen Gruppen
stellt er den Zusammenstoss des kraftbewussten Einzelwillens mit den Gesetzen der sittlichen Welt-
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HANDZEICHNUNGEN
AUS DEM LOUVRE
VON
OTTO GRAUTOFF
In den Handzeichnungen der Lateiner überwie-
gen, wie in ihren Bildern, formale und malerische
Tendenzen. Ihre Handzeichnungen sind Form-,
Bewegungs-, Licht-, Farben- und Kompositions-
studien, die entweder vor der Natur aufgenommen
worden sind oder als Einfall für die Gruppierung
eines Bildes Wert haben. Diese Entwürfe in Feder
oder Tusche spiegeln ein einzelnes, sinnliches Er-
lebnis oder sinnliche Beziehungen mehrerer Kör-
per untereinander wieder. Die Notizblätter der
Lateiner sind frei von Dogmatismus und Detaildeut-
lichkeit. Seltener als bei den Germanen sehen wir
bei ihnen Proportionsstudien, weniger häufig Kon-
struktionsfiguren, niemals die lehrhafte Art. Ihre
Figuren geben einen formalen und farbigen Abglanz
der Physis und des Instinktmässigen der Natur, sind aber nicht Träger eines Ethos. Wenn sie zwei
Gestalten zeichnen, schildern sie sie in ihren statischen, koloristischen und sinnlichen Verhältnissen,
lassen aber alle psychologischen Momente ausser Acht. Niemals beschwert sich ihre Kunst mit ge-
lehrtem Geist, niemals verwickelt sie sich im Spiritualismus und lässt sich durch Grübeln und Denken
dazu verleiten, die Ausdrucksmöglichkeiten der bildenden Kunst zu überschreiten.
Das haben dagegen Germanen in jedem Jahrhundert versucht. Dürers Tragik lässt es er-
kennen, die in einer Zeit des Übergangs ein so natürliches Produkt edler germanischer Gesinnung war.
Rembrandt, der in einer üppigeren und harmonischeren Kultur aufwuchs, that im Grunde genommen
das Gleiche. Er überschritt die Konventionen der Zeichenkunst seiner Zeit. Jede seiner Gestalten ist
Träger eines ErgrifFenseins von bestimmten Ideen, Anschauungen und Ereignissen. In seinen Gruppen
stellt er den Zusammenstoss des kraftbewussten Einzelwillens mit den Gesetzen der sittlichen Welt-
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