Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 9.1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.4706#0195
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Heft 4
DOI Artikel:Walser, Robert: Über den Charakter des Künstlers
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HONOXE DAUMIER, DREI RICHTER IN DER SITZUNG. ZEICHNUNG
ÜBHR DEN CHARAKTER DES KÜNSTLERS
VON
ROBERT WALSER
Dass er nie zur Sicherung oder Versicherung
seiner selbst gelangt scheint sein Los. Es ist
dies weder ein sehr trübes noch ein sehr leichtes Los.
Es brennt, es ist das Los der immerwährenden
Spannung. Da soll er fassen und fürchtet sich davor;
da unterliegt er und ist beinahe froh darüber; da
erschlafft und ermüdet er und greift zugleich einen
ganz neuen nie vorher geahnten Besitz an. Ein selt-
samer fast gespenstischer Geist beherrscht ihn. Ver-
loren in den Abgründen der Mutlosigkeit gewinnt
er oft das Beste: sich selbst; und vertieft in grosse
Gedanken verliert er sich wie Spreu in den Wind
geworfen. Vertraulich sein kann er nicht, Mensch
sein darf er nicht. Er kann und darf Beides, aber
... es ist immer eine Frage da, ein Gedanke, ein
Geist, ein Fortlaufendes, und es bricht immer in
ihm, es tönt, und er bildet sich ein, immer bildet er
sich ein, treulos zu sein an einem schönen unbezwing-
lichen grässlichen Etwas, das da ist und nie da ist,
das nie da ist, weil es selbst ist, weil er das selbst
ist, was da ist und immer fortgeht. So lebt er in
fortlaufenden überzarten Sorgen, die ihm die ge-
sunden Sinne zu verrücken drohen. Er hasst daher
„Aussprachen". Mit sich selbst stets im Unklaren,
dünkt es ihn fürchterlich, auch nur von ferne irgend-
LITIKER. ZEICHNUNG
185
ÜBHR DEN CHARAKTER DES KÜNSTLERS
VON
ROBERT WALSER
Dass er nie zur Sicherung oder Versicherung
seiner selbst gelangt scheint sein Los. Es ist
dies weder ein sehr trübes noch ein sehr leichtes Los.
Es brennt, es ist das Los der immerwährenden
Spannung. Da soll er fassen und fürchtet sich davor;
da unterliegt er und ist beinahe froh darüber; da
erschlafft und ermüdet er und greift zugleich einen
ganz neuen nie vorher geahnten Besitz an. Ein selt-
samer fast gespenstischer Geist beherrscht ihn. Ver-
loren in den Abgründen der Mutlosigkeit gewinnt
er oft das Beste: sich selbst; und vertieft in grosse
Gedanken verliert er sich wie Spreu in den Wind
geworfen. Vertraulich sein kann er nicht, Mensch
sein darf er nicht. Er kann und darf Beides, aber
... es ist immer eine Frage da, ein Gedanke, ein
Geist, ein Fortlaufendes, und es bricht immer in
ihm, es tönt, und er bildet sich ein, immer bildet er
sich ein, treulos zu sein an einem schönen unbezwing-
lichen grässlichen Etwas, das da ist und nie da ist,
das nie da ist, weil es selbst ist, weil er das selbst
ist, was da ist und immer fortgeht. So lebt er in
fortlaufenden überzarten Sorgen, die ihm die ge-
sunden Sinne zu verrücken drohen. Er hasst daher
„Aussprachen". Mit sich selbst stets im Unklaren,
dünkt es ihn fürchterlich, auch nur von ferne irgend-
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