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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 9.1911

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Heft 6
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4706#0312

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CHRONIK

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ax Liebermann hat das Amt eines Vorsitzenden
der Berliner Sezession niedergelegt. Mit ihm sind
Max Slevogt, August Gaul, Max Kruse und Fritz Klinisch
aus dem Vorstand in die Reihe der ordentlichen Mit-
glieder zurückgetreten. An ihre Stelle wurden in den
Vorstand gewählt Ernst Barlach, Robert Breyer, August
Kraus, Konrad von KardorfF und Waldemar Rösler.
Das Amt des Vorsitzenden hat Lovis Corinth über-
nommen, Max Liebermann wurde zum Ehrenvor-
sitzenden ernannt, mit Sitz und Stimme in allen Vor-
standssitzungen. Er verabschiedete sich mit einer Rede,
die wir im Wortlaut abdrucken. Ebenso teilen wir die
Ansprache mit, womit Lovis Corinth sich als Präsident
der Berliner Sezession einführte.

Meine lieben Kollegen!

Sie Alle wissen, daß ich seit Jahren, besonders aber seit
dem Tode unsres unvergessenen Freundes Leistikow, den Wunsch
hegte, von dem verantwortungsvollen Amte, zu dem mich Ihr
Vertrauen berufen hat, enthoben zu sein. Wenn ich Sie also
bat, von einer Wiederwahl meiner Person in den Vorstand ab-
zusehen, so wird Keiner von Ihnen davon überrascht gewesen
sein. Dagegen sind Zweifel laut geworden, ob der Zeitpunkt
für meinen Rücktritt richtig gewählt sei. Meine Freunde —
an denen es mir, Gott sei Dank, ebensowenig fehlt wie an
Feinden — könnten vielleicht sagen: es muß doch etwas faul
sein im Staate, wenn Der jetzt geht; und meine Feinde werden
triumphierend ausrufen: endlich haben wir den Kerl hinaus-
geekelt.

Beider Meinungen sind irrig. Zola sagt mal, nichts sei
besser für die Verdauung, als die Gewohnheit, jeden Morgen
auf nüchternen Magen „un crapaud" zu verschlucken, so 'ne

recht kraftige Anrempelung: ich neige zu der Annahme, daß
die Herren Hinz oder Kunz ihren Angriffen nur zur Kräftigung
meiner durchs Alter geschwächten Konstitution eine so wun-
derliche, derbe Form gegeben haben. Simson erschlug zehn-
tausend Philister mit des Esels Kinnbacken, meine Feinde ver-
mochten, obgleich ihnen Simsons Waffe sehr „lag", nicht mal
mich, einen einzigen Philister, zu erschlagen. Sie konnten
mich nicht hinausärgeni noch hinausekeln. Denn ich bin
nicht weltfremd genug, um zu glauben, man könne zwölf Jahre
ein Amt innehaben (in dem, obwohl es in Wirklichkeit eine
schwere Bürde, eine stete Hemmung der persönlichen Freiheit
ist, kurzsichtige Leute nur die „Macht" sehen), ohne eine
Summe von Mißgunst ringsum zu häufen, und Alle, denen
man im Interesse der Sache wehethun mußte, ungeduldig zu
machen. Ich konnte diese Bürde nur so lange tragen, weil
ich vom ersten Tage meiner Präsidentschaft bis zum letzten
mich auf Sie stützen durfte, weil ich wußte, daß Sie das Ver-
trauen, das ich Ihnen entgegenbrachte, vollauf mir erwiderten.
Wer also annimmt, daß der Ekel vor kleinlichem, hämischen
Zank mich untergekriegt habe, unterschätzt meine Nerven und
die Härte meiner Haut.

Was aber meine Freunde betrifft, so mögen sie beruhigt
sein: nie würde ich aus dem Vorstande der Sezession geschie-
den st in, wenn ich mein Bleiben für notwendig gehalten hätte.
Der wäre ein miserabler Führer, der seine Truppen verläßr,
wenn der Feind vor den Toren steht. Es ist der eklatanteste
Beweis von der innern Kraft und Stärke der Berliner Sezession,
daß ich heute beruhigten Gemütes zurücktreten darf.

Die Sezession steht heute leistungsfähiger als je da. Nach-
dem es in den letzten Jahren fortwährend gekriselt hatte, sind
endlich die Elemente aus ihr entfernt, die dem kameradschaft-
lichen Arbeiten im Vorstande und dem ruhigen Zusammen-
arbeiten des Vorstandes mit Ihnen im Wege standen.

Mögen Jene, ohne vor Indiskretionen zurückzuschrecken,
behaupten, daß wir uns gegen die Paragraphen und Statuten
vergangen hätten. Wir haben nach bestem Gewissen unsre
Pflicht zu erfüllen gestrebt. Höher als Paragraphen und Statuten

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