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verdanken wäre, und mehr als einmal unterschreibt
man die Vorzüge seiner dekorativen Motive. Es ist
leicht erklärlich, aus welchen Gründen das Boudoir von
Otto Baur sicher ist, noch mehr Beifall zu finden: die
Harmonie der Töne darin ist von grosser Zartheit, die
Sessel sind leicht gebaut und mühlos umzustellen, und
man findet hier eine rationelle Verschmelzung englischer
Prinzipien und solcher, die bei der Fabrikation ge-
schweifter Holzmöbel vorherrschen.
Primum vivere, de'inde pbilosopbari. Erfindung ist das
Lebensprinzip der angewandten Künste. Und die
Münchner Künstler erfinden und schaffen; sie schaffen
mit einem vollendeten Geschmack, ohne Anlehnung an
französische Tradition,
sind aber der Vervoll-
kommnung fähig und
richten ihr Augenmerk
fortwährend auf Ver-
feinerung. Die Lehre,
die sie aufstellen, geht
vielleicht weniger aus
ihren Arbeiten hervor
als aus den Mitteln, die
sie dabei an wenden. Dis-
ziplin, Ordnung, Metho-
de: darin liegt die Ur-
sache ihrer Macht, das
Geheimnis ihres Schaf-
fens. Bei ihnen giebt es
kein Einzelstreben, kein
zielloses Wollen, sondern
eine strenge Konzentra-
tion derKräfte zurbesten
Erreichung eines ge-
meinsam verfolgten
Zieles. — „Folge eines
schmiegsamen Charak-
ters, leichter Verzicht
auf angeborene Unab-
hängigkeit", sagen die
Franzosen. Bleibt nur zu
wissenübrig, ob Künstler
und Handwerker, indem sie sich so „hierarchisieren",
nicht einen stärkeren Gemeinsinn zeigen.
Was hatte Frankreich nun dieser bedeutsamen Mani-
festation gegenüberzustellen? Ein Schauspiel seiner
Vorzüge und seiner Schwächen. Trotz der Entfernung,
trotz aller Schwierigkeiten und Kosten, war die Mün-
chener Ausstellung zurzeit der Eröffnungsfeier voll-
ständig fertig und mit einem Katalog von muster-
gültiger Genauigkeit versehen. In der französischen
Abteilung aber wurde noch vierzehn Tage nach der
Eröffnung an den letzten Einrichtungen gearbeitet. Sie
ist willkürlich auseinandergerissen, oben, unten, links
und rechts. Die bedeutendsten Namen fehlen: nichts
von Eugene Gaillard, nichts von Maurice Dufrene,
nichts von Theodore Lambert, nichts von Emile Galle;
denn ist die Schule von Nancy auch vertreten, so weckt
doch kein Meisterstück der Kunsttischlerei die Erinne-
rung an ihren Gründer und Leiter. Allem ist die Eile
und Improvisation anzumerken. Aber ist dieses Fieber,
dieses Stürmen nicht das Zeichen einer beständigen Vi-
talität? Nein, der Saft ist nicht erschöpft, der Baum
nicht tot, und sein Astwerk kann wieder grünen und
üppige Blüten treiben. Wenn Frankreich nur die Lehre
dieser Schulen für sich anwenden wollte! Wenn die
Organisationseiner Museen demHandwerker gestatten
wollte, von den Sammlungen zu lernen, wenn man die
Talente zu gruppieren, zu vereinigen wüsste und den
Volksgeist beeinflussen
/ ■ ~- und zwingen könnte sich
notwendigen Neuerun-
gen anzupassen, anstatt
sich davon abstossen zu
lassen — so würde die
Hoffnung bald zur Ge-
wissheit werden. Das
erste Vergleichsresultat
aus dieser unmittelba-
ren Nachbarschaft der
Münchner und Franzo-
sen ist, dass bei Diesen
mehr das Grundgefühl
für richtige Abwägung
ist. Die Phantasie ist
massvoller inFrankreich,
bei grösserer Leichtig-
keit und mehr Heiter-
keit im Malerischen. In
dem Wunsche, Luxus-
möbel vor Banalität und
Nachahmerei zu bewah-
ren , bringt Baigneres
wieder eingelegte Ar-
beiten auf und hebt sie
durch silberne Basreliefs
noch mehr hervor. Die
Schule von Nancy lässt
das Holz im Naturzustand, die Politur bildet den Schmuck
der ebenen Flächen; Schnitz werk und Skulpturen sind
von der Pflanze beeinflusst; man begegnet hier all Denen,
die Emile Galle umgaben oder sich nach seinen Lehren
bildeten: Victor Prouve, Majorelle, Valiin, dann Gauthier
und Poinsignon, die kürzlich bei einem Wettbewerb für
billige Möbel den Preis davontrugen.* Eisen in Verbin-
dung mit Nussbaum sieht man in einem Arbeitszimmer
von Majorelle, das in jeder Beziehung ausserordentlich
gelungen ist, und in einem Speisezimmer von Husson;
und das Gres von Bigot fügt sich lustig dem Getäfel von
* Die Münchner Ausstellung brachte leider nur sehr luxu-
riöse Einrichtungen zu hohen Preisen.
DE GOYA, MAJA UND DER MANN IM MANTEL
AUSGESTELLT IN DER BERLINER SEZESSION
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verdanken wäre, und mehr als einmal unterschreibt
man die Vorzüge seiner dekorativen Motive. Es ist
leicht erklärlich, aus welchen Gründen das Boudoir von
Otto Baur sicher ist, noch mehr Beifall zu finden: die
Harmonie der Töne darin ist von grosser Zartheit, die
Sessel sind leicht gebaut und mühlos umzustellen, und
man findet hier eine rationelle Verschmelzung englischer
Prinzipien und solcher, die bei der Fabrikation ge-
schweifter Holzmöbel vorherrschen.
Primum vivere, de'inde pbilosopbari. Erfindung ist das
Lebensprinzip der angewandten Künste. Und die
Münchner Künstler erfinden und schaffen; sie schaffen
mit einem vollendeten Geschmack, ohne Anlehnung an
französische Tradition,
sind aber der Vervoll-
kommnung fähig und
richten ihr Augenmerk
fortwährend auf Ver-
feinerung. Die Lehre,
die sie aufstellen, geht
vielleicht weniger aus
ihren Arbeiten hervor
als aus den Mitteln, die
sie dabei an wenden. Dis-
ziplin, Ordnung, Metho-
de: darin liegt die Ur-
sache ihrer Macht, das
Geheimnis ihres Schaf-
fens. Bei ihnen giebt es
kein Einzelstreben, kein
zielloses Wollen, sondern
eine strenge Konzentra-
tion derKräfte zurbesten
Erreichung eines ge-
meinsam verfolgten
Zieles. — „Folge eines
schmiegsamen Charak-
ters, leichter Verzicht
auf angeborene Unab-
hängigkeit", sagen die
Franzosen. Bleibt nur zu
wissenübrig, ob Künstler
und Handwerker, indem sie sich so „hierarchisieren",
nicht einen stärkeren Gemeinsinn zeigen.
Was hatte Frankreich nun dieser bedeutsamen Mani-
festation gegenüberzustellen? Ein Schauspiel seiner
Vorzüge und seiner Schwächen. Trotz der Entfernung,
trotz aller Schwierigkeiten und Kosten, war die Mün-
chener Ausstellung zurzeit der Eröffnungsfeier voll-
ständig fertig und mit einem Katalog von muster-
gültiger Genauigkeit versehen. In der französischen
Abteilung aber wurde noch vierzehn Tage nach der
Eröffnung an den letzten Einrichtungen gearbeitet. Sie
ist willkürlich auseinandergerissen, oben, unten, links
und rechts. Die bedeutendsten Namen fehlen: nichts
von Eugene Gaillard, nichts von Maurice Dufrene,
nichts von Theodore Lambert, nichts von Emile Galle;
denn ist die Schule von Nancy auch vertreten, so weckt
doch kein Meisterstück der Kunsttischlerei die Erinne-
rung an ihren Gründer und Leiter. Allem ist die Eile
und Improvisation anzumerken. Aber ist dieses Fieber,
dieses Stürmen nicht das Zeichen einer beständigen Vi-
talität? Nein, der Saft ist nicht erschöpft, der Baum
nicht tot, und sein Astwerk kann wieder grünen und
üppige Blüten treiben. Wenn Frankreich nur die Lehre
dieser Schulen für sich anwenden wollte! Wenn die
Organisationseiner Museen demHandwerker gestatten
wollte, von den Sammlungen zu lernen, wenn man die
Talente zu gruppieren, zu vereinigen wüsste und den
Volksgeist beeinflussen
/ ■ ~- und zwingen könnte sich
notwendigen Neuerun-
gen anzupassen, anstatt
sich davon abstossen zu
lassen — so würde die
Hoffnung bald zur Ge-
wissheit werden. Das
erste Vergleichsresultat
aus dieser unmittelba-
ren Nachbarschaft der
Münchner und Franzo-
sen ist, dass bei Diesen
mehr das Grundgefühl
für richtige Abwägung
ist. Die Phantasie ist
massvoller inFrankreich,
bei grösserer Leichtig-
keit und mehr Heiter-
keit im Malerischen. In
dem Wunsche, Luxus-
möbel vor Banalität und
Nachahmerei zu bewah-
ren , bringt Baigneres
wieder eingelegte Ar-
beiten auf und hebt sie
durch silberne Basreliefs
noch mehr hervor. Die
Schule von Nancy lässt
das Holz im Naturzustand, die Politur bildet den Schmuck
der ebenen Flächen; Schnitz werk und Skulpturen sind
von der Pflanze beeinflusst; man begegnet hier all Denen,
die Emile Galle umgaben oder sich nach seinen Lehren
bildeten: Victor Prouve, Majorelle, Valiin, dann Gauthier
und Poinsignon, die kürzlich bei einem Wettbewerb für
billige Möbel den Preis davontrugen.* Eisen in Verbin-
dung mit Nussbaum sieht man in einem Arbeitszimmer
von Majorelle, das in jeder Beziehung ausserordentlich
gelungen ist, und in einem Speisezimmer von Husson;
und das Gres von Bigot fügt sich lustig dem Getäfel von
* Die Münchner Ausstellung brachte leider nur sehr luxu-
riöse Einrichtungen zu hohen Preisen.
DE GOYA, MAJA UND DER MANN IM MANTEL
AUSGESTELLT IN DER BERLINER SEZESSION
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