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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 9.1911

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Heft 5
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Du Quesne- van Gogh, Elisabeth Huberta: Erinnerungen an Vincent van Gogh: (1853-1890)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4706#0234

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drentischen Hütten hatte. Ein Grubenarbeiterpaar,
Mann und Frau, hagere Gestalten, mit Armen und
Beinen, die wegen ihrer Magerkeit viel zu lang
schienen, fahl die Kleider, fahl die Gesichtsfarbe,
jeder mit einem schmutzigen Sack voll Schlacken
auf dem Rücken, mit langen Schritten auf einem
Weg gehend, der nicht mit Sand, sondern mit
Steinkohle bedeckt war: alles armselig, kalt und
schmutzig.

Von einer bekannten Adresse Hess er sich Far-
ben und Pinsel kommen, und nach wenigen Mo-
naten bezog er die Zeichenakademie in Antwerpen.

Im Februar oder März wird er nach Antwerpen
abgereist sein; Ende Mai, an einem Sonntag nach-
mittag, kam er höchst unerwartet den Gartenweg
heraufgelaufen, der nach der Wohnung der Eltern
führte. So sahen ihn seine Schwestern, die am
Fenster mit Handarbeiten beschäftigt waren, mit
seiner grossen Staffelei auf dem Rücken, in einem
blauen Kittel, der bekannten Tracht flämischer
Viehhändler, den filzenen Malerhut tief in die Stirn
gedrückt.

Er wollte zunächst bei seinen Eltern bleiben, im
Dorf gab es ja viel für ihn zu tun.

Es lag nicht gerade im malerischsten Teile Bra-
bants, auch war der Bevölkerung weder die Um-
gänglichkeit noch herzliche Zuvorkommenheit
eigentümlich, die es einem Maler ermöglicht, voll-
kommen ungezwungen unter ihr zu malen.

Was er da arbeitete, darf man getrost un-
beholfen und fehlerhaft nennen, mit Ausnahme der
Blumen.

Die Eltern des Malers wurden mit Fragen über
ihren Sohn von teilnehmenden Freunden und Ver-
wandten bestürmt. . .

Als ob es für sie nicht schon genügt hätte, sich
in ihren Erwartungen betrogen zu finden und ihre
Geldsorgen täglich wachsen zu sehen! Denn die
Malweise ihres Sohnes erforderte viel Farbe, und
Farbe ist teuer. Obendrein bewunderten sie seine
Arbeiten durchaus nicht. Was sie nach ihrem Ge-
schmack schön fanden, verwarf er mit verächtlichem
Lächeln, und was er malte, war in ihren Augen
wiederum schlechter Geschmack.

Die gegenseitigen Beziehungen waren in dieser
Zeit nicht die glücklichsten. Zu Weihnachten un-
gefähr verschwand er plötzlich in keineswegs guter
Stimmung und hinterliess die Eltern betrübt und
in Unsicherheit darüber, wohin er sich wenden
werde.

Sie glaubten schon, er sei zurück nach England

gegangen, als er ihnen mitteilte, er beabsichtige im
Haag zu arbeiten. Dort hatte er seinen Vetter
Mauve besucht, durfte in dessen Atelier arbeiten
und seine Cousine Ariette, Mauves Frau, der er in
späterer Zeit einer seinen bekannten blühenden
Baumgärten verehrte, hatte ihn in ihrem Hause
freundlich aufgenommen.

Jetzt fühlte er sich selbst wachsen. Die Haag-
sche Malschule, deren Mitglieder ihm zumeist per-
sönlich bekannt waren, fesselte ihn: Mauve durch
die Zartheit und Poesie seiner Auffassung . . .

Die Bilder von Maris mit ihrer Frische und
Sicherheit des ersten Angriffs interessierten ihn
namentlich; auch Gabriel, de Bock und Poggen-
beek und der Meister Aller: Israels. Sicher lernte
der junge Künstler, so wie es bei ihm Gewohnheit
war, von ihnen. Nachgeahmt aber hat er nicht
Einen; er hielt sich ausserhalb ihrer Sphäre, und
als Mauve ihm einmal riet nach Gips zu zeichnen
und in seinem Atelier eine Figur in günstiger Be-
leuchtung aufgestellt hatte, warf er sie, auf die
Gefahr hin, sie zu zerbrechen, um und verschwand
aus dem Atelier. Begreiflicherweise galten die Be-
ziehungen daraufhin als gelöst; denn Mauve, der
ausserdem sehr leicht erregbar war, hatte auf ein
derartiges Benehmen hin durchaus genug von ihm.

Er selbst fasste diesen Vorfall als einen famosen
Witz auf, und so oft er darauf zu sprechen kam,
lachte er wie ein Gassenjunge nach einem geglück-
ten Streich. Doch blieb seine Bewunderung für
Mauve, so befremdend es auch scheinen mag, immer
gleich gross; nur fürchtete er jeden Einfluss auf
sich selbst, jede Nachahmung, jede Anlehnung an
andre. Deshalb verliess er auch Amsterdam. Er
wollte keiner Schule folgen . . .

Dass seine Arbeiten dazu verdammt waren, für den
Kunsthandel unverkäuflich zu sein, störte ihn nicht
im geringsten. Dass ein bekannter Kunstkäufer ein
Blumenstück seiner Hand selbst umsonst, nur unter
der Bedingung es aufzuhängen, nicht abnehmen
wollte — er lachte darüber. Seine Kunst hob ihn
über die Kleinlichkeit der Welt, und hätte man
ihm vorgeworfen, in seinem Alter noch nicht ein-
mal für sich selbst sorgen zu können, so würde er
sicher geantwortet haben wie jener Eine, dem
keiner zu vergleichen ist, als seine Eltern, ihn, den
Zwölfjährigen, inmitten der Schriftgelehrten fanden
und ihm vorwarfen, von ihnen weggelaufen zu
sein: „Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem
das meines Vaters ist." . . .

Hatte der junge Mann Gelegenheit gehabt, das

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VINCO,
 
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