die Bewunderung, die er selbst ganz aufrichtig für
die Arbeiten Vincents empfand, auch in andern zu
wecken. Aber das schien geradezu unmöglich —
namentlich zu dieser Zeit noch. Es war zwischen
den Brüdern Gewohnheit geworden, dass der
Jüngere alles erhielt, was der ältere produzierte,
dass alle Bilder nach Paris geschickt wurden; aber
es wollte absolut nicht gelingen, etwas, nicht mal
die besten, zu verkaufen. Goupil hatte seinen Bann-
fluch darüber ausgesprochen, das erklärte alles. Das
Einzige, was damit noch anzufangen war, blieb, sie
gegen Bilder anderer Maler einzutauschen. Das
war ein Tauschhandel, den die Künstler unterein-
ander trieben. Aber das galt auch nur für eine
kleine Anzahl Bilder. Der grösste Teil musste auf
seine Zeit warten. Ein grosser Schmerz vor allem
für den Jüngeren, der immer selbst für seinen
Bruder zu arbeiten hatte und nur zu gut wusste,
was es hiess, ohne Mittel bestehen zu sollen. Seit
längerer Zeit schon hatte er die Sorgen des Vaters
auf die eigenen Schultern geladen, jetzt, nach dessen
Tode, bezahlte er noch auf eigene Rechnung Vin-
cents Studium und nahm ihn mit nach Paris, wo
sie Beide ganz in der Kunst aufgingen.
„Es ist besser für mich zu sterben, als zu leben."
— „Sterben ist schwer, aber leben noch schwerer",
so hatte Vincent am Totenbette seines Vaters ge-
sprochen, und schwer waren für ihn die Monate
vor dem plötzlichen Tode gewesen.
Er hatte in diesem Orte gearbeitet, hatte zuviel
gearbeitet. Überanstrengung hinderte ihn zuweilen
am Schlafen, stundenlang hörte man ihn hin und
hergehen, ehe er sich zur Ruhe begab.
Sein Atelier hatte er aufgeben müssen. Es wurde
vom Hausherrn zu anderen Zwecken gebraucht.
Ein Waschzimmerchen im Erdgeschoss des
Hauses seiner Eltern hatte es vertreten müssen.
Das war natürlich kein sonderlich geeigneter Raum.
Das Familienleben, an dem er sonst nicht teil-
nahm, mit dem er aber durch diese Veränderung
mehr in Berührung kam, bedrückte ihn. Der
Unterschied der Anschauungen entlockte ihm bittere
Bemerkungen, die von den Hausgenossen sehr ver-
schieden aufgenommen wurden. Überall fand sich
etwas, das ihn beunruhigte, das ihn „agacierte",
mit dem französischen Wort ausgedrückt, das halb
Verstimmung, halb Verbitterung bedeutet. Ver-
stimmung namentlich spricht am deutlichsten aus
der Zeichnung, die er in dieser Zeit gemacht hat;
sie stellt die Hinterseite der elterlichen Wohnung
mit dem dort gelegenen Blumengarten dar. Aus
dem altmodischen, ein wenig auf die Seite ge-
sunkenen Gebäude, aus dem wohlgepflegten, freund-
lich angelegten Garten hatte er ein Gespensterhaus
gemacht: mitten im wilden Gras, umgeben von
Bäumen, die der Wind zur Seite peitscht, und ein
paar Gestalten, von denen man nicht weiss, wer
sie sind, noch was sie treiben. Meisterhaft ist diese
Zeichnung, sehr fein in Schwarz und Weiss wie ein
Steindruck bearbeitet, auf dem jeder Strich und
jeder Punkt mit dem Grabstichel auf den Stein ge-
setzt wurde. Doch alles, was in dieser Umgebung
umherspukt, war von seinem Geist, seiner Unruhe,
seinem hastenden Schaffensdrang durchdrungen: be-
ängstigend, geheimnisvoll anzuschauen.
Anm. d. Red. In der Folge (1886) ging van Gogh dann
wieder nach Paris und von dort nach Arles. Im Süden begann
dann das Drama der Auflösung, das Gauguin im VIII. Jahrgang
dieser Zeitschrift auf Seite 5798% so anschaulich beschrieben hat.
w
232
die Arbeiten Vincents empfand, auch in andern zu
wecken. Aber das schien geradezu unmöglich —
namentlich zu dieser Zeit noch. Es war zwischen
den Brüdern Gewohnheit geworden, dass der
Jüngere alles erhielt, was der ältere produzierte,
dass alle Bilder nach Paris geschickt wurden; aber
es wollte absolut nicht gelingen, etwas, nicht mal
die besten, zu verkaufen. Goupil hatte seinen Bann-
fluch darüber ausgesprochen, das erklärte alles. Das
Einzige, was damit noch anzufangen war, blieb, sie
gegen Bilder anderer Maler einzutauschen. Das
war ein Tauschhandel, den die Künstler unterein-
ander trieben. Aber das galt auch nur für eine
kleine Anzahl Bilder. Der grösste Teil musste auf
seine Zeit warten. Ein grosser Schmerz vor allem
für den Jüngeren, der immer selbst für seinen
Bruder zu arbeiten hatte und nur zu gut wusste,
was es hiess, ohne Mittel bestehen zu sollen. Seit
längerer Zeit schon hatte er die Sorgen des Vaters
auf die eigenen Schultern geladen, jetzt, nach dessen
Tode, bezahlte er noch auf eigene Rechnung Vin-
cents Studium und nahm ihn mit nach Paris, wo
sie Beide ganz in der Kunst aufgingen.
„Es ist besser für mich zu sterben, als zu leben."
— „Sterben ist schwer, aber leben noch schwerer",
so hatte Vincent am Totenbette seines Vaters ge-
sprochen, und schwer waren für ihn die Monate
vor dem plötzlichen Tode gewesen.
Er hatte in diesem Orte gearbeitet, hatte zuviel
gearbeitet. Überanstrengung hinderte ihn zuweilen
am Schlafen, stundenlang hörte man ihn hin und
hergehen, ehe er sich zur Ruhe begab.
Sein Atelier hatte er aufgeben müssen. Es wurde
vom Hausherrn zu anderen Zwecken gebraucht.
Ein Waschzimmerchen im Erdgeschoss des
Hauses seiner Eltern hatte es vertreten müssen.
Das war natürlich kein sonderlich geeigneter Raum.
Das Familienleben, an dem er sonst nicht teil-
nahm, mit dem er aber durch diese Veränderung
mehr in Berührung kam, bedrückte ihn. Der
Unterschied der Anschauungen entlockte ihm bittere
Bemerkungen, die von den Hausgenossen sehr ver-
schieden aufgenommen wurden. Überall fand sich
etwas, das ihn beunruhigte, das ihn „agacierte",
mit dem französischen Wort ausgedrückt, das halb
Verstimmung, halb Verbitterung bedeutet. Ver-
stimmung namentlich spricht am deutlichsten aus
der Zeichnung, die er in dieser Zeit gemacht hat;
sie stellt die Hinterseite der elterlichen Wohnung
mit dem dort gelegenen Blumengarten dar. Aus
dem altmodischen, ein wenig auf die Seite ge-
sunkenen Gebäude, aus dem wohlgepflegten, freund-
lich angelegten Garten hatte er ein Gespensterhaus
gemacht: mitten im wilden Gras, umgeben von
Bäumen, die der Wind zur Seite peitscht, und ein
paar Gestalten, von denen man nicht weiss, wer
sie sind, noch was sie treiben. Meisterhaft ist diese
Zeichnung, sehr fein in Schwarz und Weiss wie ein
Steindruck bearbeitet, auf dem jeder Strich und
jeder Punkt mit dem Grabstichel auf den Stein ge-
setzt wurde. Doch alles, was in dieser Umgebung
umherspukt, war von seinem Geist, seiner Unruhe,
seinem hastenden Schaffensdrang durchdrungen: be-
ängstigend, geheimnisvoll anzuschauen.
Anm. d. Red. In der Folge (1886) ging van Gogh dann
wieder nach Paris und von dort nach Arles. Im Süden begann
dann das Drama der Auflösung, das Gauguin im VIII. Jahrgang
dieser Zeitschrift auf Seite 5798% so anschaulich beschrieben hat.
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