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II
il
herrscht der Impressionismus als beinahe unum-
schränkter Machthaber. Einen Historiker musste es
locken, diese via triumphalis des Impressionismus abzu-
gehen, den Pfad zu wandern, der von den Alten zu
Manet führt, nachzuweisen, dass der „Impressionis-
mus als bewusstes Prinzip" zwar vor dem Ende des
neunzehnten Jahrhunderts nicht bestanden hat, dass je-
doch ein impressionistischesProblem bei den verschieden-
sten Völkern allzeit existierte. Dessen Wandlungen
nun verfolgt Werner Weisbach von den Malereien der
Antike bis zu Leonardo, es offenbart sich ihm bei den
Venezianern, bei Greco, Velazquez und den Holländern
ebenso wie bei Watteau und Fragonard, bei Tiepolo und
Goya, und so entstand ein Buch, dessen Disposition und
Ausgestaltung in gleicher Weise das unbedingteste Lob
verdienen. Wer sich je damit abgequält hat, Erlebnisse
des Auges in Worte umzusetzen, ihre Ursachen zu er-
gründen und dieResultate subjektiver ästhetischerUnter-
suchungen in eine objektive entwickelungsgeschicht-
liche Darstellung zu bringen, nur der wird Weisbachs
Leistung ihrem vollen Werte nach einzuschätzen ver-
mögen. Wie sich Völker und Zeiten zu dem impressio-
nistischen Problem als solchem stellten, verfolgt Weis-
bach mit dem auf kausale Zusammenhänge gerichtetem
Blick des Historikers; spricht er jedoch über einzelne
Gemälde, so glauben wir einen Maler zu hören, der
aus seiner Kenntnis des Metiers heraus die letzten Ab-
sichten eines Künstlers entschleiert, uns die Wege zeigt,
die dieser einschlug, sein Ziel zu erreichen. Damit ist
gesagt, was den Hauptvorzug von Weisbachs Buch aus-
macht: es lehrt uns, Kunstwerke mit den Augen des
Künstlers anblicken, es erzieht uns, ohne ins Päda-
gogische zu verfallen, eminent zum Sehen und
darum ist dem übrigens sehr geschmackvoll ausge-
statteten Werke der grösste Leserkreis zu wünschen.
Hoffentlich wird es ihn finden; denn Weisbachs Dar-
stellung, die bei aller Sachlichkeit niemals langweilt, hält
sich von Gelehrtenphrasen ebenso fern wie von einem
pathetischen Ausrufungszeichen - Enthusiasmus; aber
— und darauf allein kommt es an — jede Seite des
Buches beweist, dass Kunst für diesen Kunsthistoriker,
kein leeres Demonstrationsobjekt ist, keine Materie, die
man „behandelt", sondern eine Lebensnotwendigkeit,
ein Fluidum, das den ganzen Menschen durchdringt.
Andrea Mantegna. Des Meisters Gemälde und
Kupferstiche in 200 Abbildungen. Herausgegeben von
Fritz Knapp. „Klassiker der Kunst". Band XVI. Stutt-
gart. Deutsche Verlagsanstalt.
Niemand, der sich eines ernsthaften Studiums der
Künste befleissigt, kann heute die Bücher dieser Serie
entbehren; man nimmt sie tagtäglich zur Hand, aber
wegen ihres kreideweissen Glanzpapieres, dessen spiegel-
glatte Helligkeit dem Auge weh that, war es kein Ver-
gnügen, in ihnen zu blättern. In diesem Bande nun,
der Andrea Mantegna, dem grössten Meister Ober-
italiens im Quattrocento gewidmet ist, hat die Verlags-
anstalt die Bilder auf ein vollkommen glanzfreies gelb-
liches Papier drucken lassen, und das Experiment gelang
aufs Beste. Man freut sich geradezu über den matten
vornehmen Ton der Reproduktionen, die man beim
flüchtigen Hinsehen für Gravüren halten könnte. Dass
diese zweihundert Abbildungen, von denen fast die
Hälfte auf sehr instruktive Detailaufnahmen entfällt,
uns sämtliche Schöpfungen Mantegnas von unbestreit-
barer Eigenhändigkeit kennen lehren, bedarf keiner be-
sonderen Erwähnung, wohl aber muss gesagt werden,
dass der „Anhang", in den die „zweifelhaften Werke"
und die Schulbilder verwiesen wurden, nicht allen be-
rechtigten und erfüllbaren Wünschen nachkommt. Da
fehlen z. B. zwei Darstellungen der „Judith", von denen
die eine sich in der Sammlung des Earl of Pembroke zu
Wilton-House befindet, während ihre Replik die Czar-
toryski-Galerie zu Krakau schmückt, da fehlt ein männ-
liches Bildnis aus dem Palazzo Pitti (No. 375:), das heute
allgemein als Kopie nach einem verschollenen Porträt
Mantegnas gilt, und warum müssen wir ein so charakteri-
stisches Schulbild wie den „heiligen Bernhardin zwischen
zweiCherubim" aus der Brera vermissen, wenn für eine
„Grablegung Christi" Raum war, bei der weder „an
Italien, geschweige denn an Mantegna zu denken" ist?
Und bei Gemälden aus den Uffizien oder dem Städel-
schen Institut brauchte man doch die Angaben der
Maasse nicht zu entbehren ! Leider sind damit die Vor-
würfe nicht erschöpft, die man an die Adresse des
Herausgebers, des einst so feinen Fritz Knapp richten
muss. Seine Einleitung ist schlecht komponiert, weil sie
in lauter Einzelbeobachtungen zerfällt, die ohne Zu-
sammenhang aneinandergereiht wurden, und — das
Wichtigere! — weil diese Würdigung Mantegnas zu-
gleich eine dreiundvierzig Seiten lange Beleidigung der
deutschen Sprache von solcher Schwere darstellt, dass
man sie selbst einem Kunsthistoriker kaum verzeiht.
Aber nicht die Form allein, auch der Inhalt dieses
Essays macht uns mehr als einmal den Kopf schütteln.
So heisst es auf Seite 14: „Bedeutende Geister wie
Altichiero und Antelami haben Fresken in Padua ge-
malt. . ."Antelami und Fresken? Nun, Irrtümerbegehen
wir alle und solche wird man einem unbestreitbar
kenntnisreichen Mann wie Knapp darum auch nicht
vorhalten; schlimmer deucht es dagegen, wenn er
(Seite 36) vom Antlitz einer Heiligen sagt, es sei
„durchaus antikisch, selbst in der Leere des Ausdrucks".
Die Gesichter hellenischer oder selbst römischer Statuen
ausdrucksleer! Wenn sie auf Knapp so wirken, lässt sich
freilich nicht mit ihm rechten. Man kann ja schliesslich
auch niemandem beweisen, dass die neunte Symphonie
mehr sei als ein Geräusch. . . Neben solchen Sätzen
stehen wieder andere, hinter deren mühsamer Diction
sich manch' kluger Gedanke, manch' treffen der Be-
obachtung verbergen. Aber nur Knapp dürfen wir etwas
Ganzes fordern. Es ist seine eigene Schuld, wenn wir
uns an dem Autor des „Piero di Cosimo" und des „Fra
Bartolommeo" nicht mit Teilzahlungen abfinden lassen.
NEUNTER JAHRGANG. FÜNFTES HEFT. REDAKTIONSSCHI.USS AM 15. JANUAR. AUSGABE AM ERSTEN FEBRUAR NEUNZEHNHUNDERTELF
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERANTWORTLICH IN ÖSTERREICH-UNGARN: HUGO HELLER, WIEN I.
VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG.
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herrscht der Impressionismus als beinahe unum-
schränkter Machthaber. Einen Historiker musste es
locken, diese via triumphalis des Impressionismus abzu-
gehen, den Pfad zu wandern, der von den Alten zu
Manet führt, nachzuweisen, dass der „Impressionis-
mus als bewusstes Prinzip" zwar vor dem Ende des
neunzehnten Jahrhunderts nicht bestanden hat, dass je-
doch ein impressionistischesProblem bei den verschieden-
sten Völkern allzeit existierte. Dessen Wandlungen
nun verfolgt Werner Weisbach von den Malereien der
Antike bis zu Leonardo, es offenbart sich ihm bei den
Venezianern, bei Greco, Velazquez und den Holländern
ebenso wie bei Watteau und Fragonard, bei Tiepolo und
Goya, und so entstand ein Buch, dessen Disposition und
Ausgestaltung in gleicher Weise das unbedingteste Lob
verdienen. Wer sich je damit abgequält hat, Erlebnisse
des Auges in Worte umzusetzen, ihre Ursachen zu er-
gründen und dieResultate subjektiver ästhetischerUnter-
suchungen in eine objektive entwickelungsgeschicht-
liche Darstellung zu bringen, nur der wird Weisbachs
Leistung ihrem vollen Werte nach einzuschätzen ver-
mögen. Wie sich Völker und Zeiten zu dem impressio-
nistischen Problem als solchem stellten, verfolgt Weis-
bach mit dem auf kausale Zusammenhänge gerichtetem
Blick des Historikers; spricht er jedoch über einzelne
Gemälde, so glauben wir einen Maler zu hören, der
aus seiner Kenntnis des Metiers heraus die letzten Ab-
sichten eines Künstlers entschleiert, uns die Wege zeigt,
die dieser einschlug, sein Ziel zu erreichen. Damit ist
gesagt, was den Hauptvorzug von Weisbachs Buch aus-
macht: es lehrt uns, Kunstwerke mit den Augen des
Künstlers anblicken, es erzieht uns, ohne ins Päda-
gogische zu verfallen, eminent zum Sehen und
darum ist dem übrigens sehr geschmackvoll ausge-
statteten Werke der grösste Leserkreis zu wünschen.
Hoffentlich wird es ihn finden; denn Weisbachs Dar-
stellung, die bei aller Sachlichkeit niemals langweilt, hält
sich von Gelehrtenphrasen ebenso fern wie von einem
pathetischen Ausrufungszeichen - Enthusiasmus; aber
— und darauf allein kommt es an — jede Seite des
Buches beweist, dass Kunst für diesen Kunsthistoriker,
kein leeres Demonstrationsobjekt ist, keine Materie, die
man „behandelt", sondern eine Lebensnotwendigkeit,
ein Fluidum, das den ganzen Menschen durchdringt.
Andrea Mantegna. Des Meisters Gemälde und
Kupferstiche in 200 Abbildungen. Herausgegeben von
Fritz Knapp. „Klassiker der Kunst". Band XVI. Stutt-
gart. Deutsche Verlagsanstalt.
Niemand, der sich eines ernsthaften Studiums der
Künste befleissigt, kann heute die Bücher dieser Serie
entbehren; man nimmt sie tagtäglich zur Hand, aber
wegen ihres kreideweissen Glanzpapieres, dessen spiegel-
glatte Helligkeit dem Auge weh that, war es kein Ver-
gnügen, in ihnen zu blättern. In diesem Bande nun,
der Andrea Mantegna, dem grössten Meister Ober-
italiens im Quattrocento gewidmet ist, hat die Verlags-
anstalt die Bilder auf ein vollkommen glanzfreies gelb-
liches Papier drucken lassen, und das Experiment gelang
aufs Beste. Man freut sich geradezu über den matten
vornehmen Ton der Reproduktionen, die man beim
flüchtigen Hinsehen für Gravüren halten könnte. Dass
diese zweihundert Abbildungen, von denen fast die
Hälfte auf sehr instruktive Detailaufnahmen entfällt,
uns sämtliche Schöpfungen Mantegnas von unbestreit-
barer Eigenhändigkeit kennen lehren, bedarf keiner be-
sonderen Erwähnung, wohl aber muss gesagt werden,
dass der „Anhang", in den die „zweifelhaften Werke"
und die Schulbilder verwiesen wurden, nicht allen be-
rechtigten und erfüllbaren Wünschen nachkommt. Da
fehlen z. B. zwei Darstellungen der „Judith", von denen
die eine sich in der Sammlung des Earl of Pembroke zu
Wilton-House befindet, während ihre Replik die Czar-
toryski-Galerie zu Krakau schmückt, da fehlt ein männ-
liches Bildnis aus dem Palazzo Pitti (No. 375:), das heute
allgemein als Kopie nach einem verschollenen Porträt
Mantegnas gilt, und warum müssen wir ein so charakteri-
stisches Schulbild wie den „heiligen Bernhardin zwischen
zweiCherubim" aus der Brera vermissen, wenn für eine
„Grablegung Christi" Raum war, bei der weder „an
Italien, geschweige denn an Mantegna zu denken" ist?
Und bei Gemälden aus den Uffizien oder dem Städel-
schen Institut brauchte man doch die Angaben der
Maasse nicht zu entbehren ! Leider sind damit die Vor-
würfe nicht erschöpft, die man an die Adresse des
Herausgebers, des einst so feinen Fritz Knapp richten
muss. Seine Einleitung ist schlecht komponiert, weil sie
in lauter Einzelbeobachtungen zerfällt, die ohne Zu-
sammenhang aneinandergereiht wurden, und — das
Wichtigere! — weil diese Würdigung Mantegnas zu-
gleich eine dreiundvierzig Seiten lange Beleidigung der
deutschen Sprache von solcher Schwere darstellt, dass
man sie selbst einem Kunsthistoriker kaum verzeiht.
Aber nicht die Form allein, auch der Inhalt dieses
Essays macht uns mehr als einmal den Kopf schütteln.
So heisst es auf Seite 14: „Bedeutende Geister wie
Altichiero und Antelami haben Fresken in Padua ge-
malt. . ."Antelami und Fresken? Nun, Irrtümerbegehen
wir alle und solche wird man einem unbestreitbar
kenntnisreichen Mann wie Knapp darum auch nicht
vorhalten; schlimmer deucht es dagegen, wenn er
(Seite 36) vom Antlitz einer Heiligen sagt, es sei
„durchaus antikisch, selbst in der Leere des Ausdrucks".
Die Gesichter hellenischer oder selbst römischer Statuen
ausdrucksleer! Wenn sie auf Knapp so wirken, lässt sich
freilich nicht mit ihm rechten. Man kann ja schliesslich
auch niemandem beweisen, dass die neunte Symphonie
mehr sei als ein Geräusch. . . Neben solchen Sätzen
stehen wieder andere, hinter deren mühsamer Diction
sich manch' kluger Gedanke, manch' treffen der Be-
obachtung verbergen. Aber nur Knapp dürfen wir etwas
Ganzes fordern. Es ist seine eigene Schuld, wenn wir
uns an dem Autor des „Piero di Cosimo" und des „Fra
Bartolommeo" nicht mit Teilzahlungen abfinden lassen.
NEUNTER JAHRGANG. FÜNFTES HEFT. REDAKTIONSSCHI.USS AM 15. JANUAR. AUSGABE AM ERSTEN FEBRUAR NEUNZEHNHUNDERTELF
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERANTWORTLICH IN ÖSTERREICH-UNGARN: HUGO HELLER, WIEN I.
VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG.