als Ausdruck einer eigenen, in der Vorstellungskraft des
Künstlers lebenden Welt nur mit dem ihm selbst ent-
nommenen Maassstab gemessen werden dürfe. Daraus
folgt zweitens, dass wir das Kunstwerk, das heisst, seine
künstlerischen Eigenschaften zu erkennen, dass wir es
also nach diesen und nicht nach unserm Wohlgefallen
zu beurteilen haben. Das ist natürlich etwas ganz
Anderes, als die Bevorzugung einzelner Werke und
Künstler auf Grund persönlichen Geschmackes. Den
zur „Weltanschauung gewordenen" persönlichen Ge-
schmack streitet Graef keinemMenschen ab, wenn dieser
nur erst erkennen gelernt hat, was wirklich Kunst ist.
Ja, er fordert ihn sogar, und mit Recht von Jedermann,
der bis zu dieser Höhe künstlerischer Erkenntnis vor-
gedrungen ist. Charakterlos wäre, wer mit gleicher
Liebe alle Arten guter Kunst umfassen könnte.
Wer bis hierhin den Ausführungen des Verfassers
aufmerksam gefolgt ist, der wird auch die anschliessen-
den sachlichen Erläuterungen der beiden Wandbilder
mit Interesse und Verständnis aufnehmen.
Es ist schon wiederholt über die Unzulänglichkeit
des Textes der Museumskataloge geklagt worden, die,
anstatt eine Anleitung zu wirklichem Verständnis und
zu tieferem Genuss der Werke der betreffenden Samm-
lung zu aeben, den Benutzer fast nur mit einem trocke-
nen Inventarverzeichnis und den zugehörigen kunst-
und kulturgeschichtlichen Belehrungen abspeisen. Die
Auslassungen Heinrich Wölfflins in dieser Zeitschrift*
kennzeichnen in einem Vergleich zwischenkunstgeschicht-
lichen Werken und den üblichen Museumskatalogen die
Schwächen beider Arten von Büchern im Kern mit den
Worten: „Alle kunstgeschichtlichen Bücher leiden unter
der Abwesenheit der Gegenstände, von denen sie spre-
chen, und hier bei den Katalogen, wo man die Werke
als anwesend voraussetzen kann, hier versagt seinerseits
das helfende Wort". Aber während der Gelehrte nach
einer Besserung der Kataloge rief, war schon vorher in
dem von Prof. Dr. Theodor Volbehr verfassten „Führer
durch das Kaiser Friedrich-Museum der Stadt Magde-
burg" ein derartiger Katalog erschienen, der seinen und
überhaupt allen gerechten Anforderungen genügen
dürfte. Daher mag eine kurze Beschreibung dieses
Führers, der soeben, nach kaum vier Jahren, mit dem
ii. bis i j. Tausend in umgeänderter und bedeutend er-
weiterter Gestalt erschienen ist, für weitere Kreise von
Interesse sein.
Dieser Katalog enthält keine nüchterne Inventar-
aufzählung, sondern eine lebendige, klar stilisierte Be-
schreibung der Materialsammlung des Museums. Er
schleppt sich also nicht mit totem Ballast, wie Mass-
angaben und ähnlichem, für das grosse Publikum neben-
* „Kunst und Künstler", Jahrg. VI, Seite 51.
sächlichen Dingen, teilt dafür aber alles Wesentliche
und zum wahren Verständnis und zum Genuss Notwen-
dige in der vom Zweck geforderten Kürze und in leicht
verständlicher Form mit. Er vermittelt nicht nur die
nötigen kultur- und kunstgeschichtlichen Daten, sondern
lehrt auch die Dinge wirklich verstehen, indem er
durch Vergleich ihre charakteristischen Eigenschaften,
ihre Vorzüge und Schwächen, und besonders die
Entwicklung des Einen aus dem Andern klargelegt. Es
sucht der Führer die Schätze des Museums nicht nur
dem Verständnis der Besucher, sondern auch ihrem
Empfinden nahezubringen und sie so zu wirklichem
ästhetischem Genuss des Dargebotenen anzuleiten. Da-
mit erzieht er gleichzeitig in bedeutendem Grade, so-
weit das eben mit Worten geschehen kann, zu Verständ-
nis und Genuss der Kunst überhaupt.
Die von WölfFJin geforderte Probe auf eine gute
Beschreibung besteht der Volbehrsche Führer: bei jeder
Lektüre ausserhalb des Museums wird die Vorstel-
lung von den beschriebenen Gegenständen wieder
erzeugt, wie ich oftmals und nach lange zurückliegen-
dem Besuch des Museums bei Freunden und an mir
selbst festgestellt habe. Das gelingt auch ohne Zuhilfe-
nahme der dem Buche beigegebenen Abbildungen.
Demnach erfüllt also das Buch seinen im Titel an-
gedeuteten Zweck. Es besitzt jedoch noch eine andere
darüber hinausgehende Eigenschaft: es ist gleichzeitig
ein zuverlässiger, eigenartiger Leitfaden durch die mei-
sten und bedeutendsten Gebiete der Kunst- und Kultur-
geschichte. Diese Güte verdankt der Führer den nicht
oft in einer Person zusammentreffenden Eigenschaften
seines Verfassers. Dieser beherrscht nämlich nicht nur
die Kunst- und Kulturgeschichte sowie die anderen für
einen Museumsleiter unumgänglich nötigen Fachkennt-
nisse, sondern er ist auch ein Mann von sicherem künst-
lerischen Verständnis und Gefühl, der die Gabe hat,
dies Verständnis und Gefühl analysieren und in ver-
ständliche Worte kleiden zu können.
Schliesslich mag noch erwähnt werden, dass die
neue Auflage des Führer im Vergleich mit der ersten
ein unumstösslicher Beweis und ein schönes Zeugnis
von Volbehrs unermüdlicher Fürsorge für das von ihm
geschaffene Werk, für die Erweiterung, für den Ausbau
und die Verschönerung seiner Sammlung ist. Alle Ab-
teilungen sehen wir vervollständigt; andere ganz neu
geschaffen und angegliedert. Vor allem hat die Ge-
mäldegalerie, und darin wiederum die neuzeitliche Ab-
teilung, eine erstaunliche Bereicherung erfahren. Bei
diesem energischen Weiterschreiten wird das Magde-
burger Kaiser Friedrich-Museum in absehbarer Zeit der
Rührigkeit seines Leiters eine wenn auch nicht an Zahl,
so doch an Qualitäten sehr reiche moderne Gemälde-
sammlung verdanken, die einen getreuen Überblick über
die Entwicklung der neueren Malerei gewährt.
NEUNTER JAHRGANG. SECHSTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 17. FEBRUAR. AUSGABE AM ERSTEN' MÄRZ NEUNZEHNHUNDERTEI.F
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERANTWORTLICH IN ÖSTERREICH-UNGARN: HUGO HELLER, WIEN I.
VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG.
Künstlers lebenden Welt nur mit dem ihm selbst ent-
nommenen Maassstab gemessen werden dürfe. Daraus
folgt zweitens, dass wir das Kunstwerk, das heisst, seine
künstlerischen Eigenschaften zu erkennen, dass wir es
also nach diesen und nicht nach unserm Wohlgefallen
zu beurteilen haben. Das ist natürlich etwas ganz
Anderes, als die Bevorzugung einzelner Werke und
Künstler auf Grund persönlichen Geschmackes. Den
zur „Weltanschauung gewordenen" persönlichen Ge-
schmack streitet Graef keinemMenschen ab, wenn dieser
nur erst erkennen gelernt hat, was wirklich Kunst ist.
Ja, er fordert ihn sogar, und mit Recht von Jedermann,
der bis zu dieser Höhe künstlerischer Erkenntnis vor-
gedrungen ist. Charakterlos wäre, wer mit gleicher
Liebe alle Arten guter Kunst umfassen könnte.
Wer bis hierhin den Ausführungen des Verfassers
aufmerksam gefolgt ist, der wird auch die anschliessen-
den sachlichen Erläuterungen der beiden Wandbilder
mit Interesse und Verständnis aufnehmen.
Es ist schon wiederholt über die Unzulänglichkeit
des Textes der Museumskataloge geklagt worden, die,
anstatt eine Anleitung zu wirklichem Verständnis und
zu tieferem Genuss der Werke der betreffenden Samm-
lung zu aeben, den Benutzer fast nur mit einem trocke-
nen Inventarverzeichnis und den zugehörigen kunst-
und kulturgeschichtlichen Belehrungen abspeisen. Die
Auslassungen Heinrich Wölfflins in dieser Zeitschrift*
kennzeichnen in einem Vergleich zwischenkunstgeschicht-
lichen Werken und den üblichen Museumskatalogen die
Schwächen beider Arten von Büchern im Kern mit den
Worten: „Alle kunstgeschichtlichen Bücher leiden unter
der Abwesenheit der Gegenstände, von denen sie spre-
chen, und hier bei den Katalogen, wo man die Werke
als anwesend voraussetzen kann, hier versagt seinerseits
das helfende Wort". Aber während der Gelehrte nach
einer Besserung der Kataloge rief, war schon vorher in
dem von Prof. Dr. Theodor Volbehr verfassten „Führer
durch das Kaiser Friedrich-Museum der Stadt Magde-
burg" ein derartiger Katalog erschienen, der seinen und
überhaupt allen gerechten Anforderungen genügen
dürfte. Daher mag eine kurze Beschreibung dieses
Führers, der soeben, nach kaum vier Jahren, mit dem
ii. bis i j. Tausend in umgeänderter und bedeutend er-
weiterter Gestalt erschienen ist, für weitere Kreise von
Interesse sein.
Dieser Katalog enthält keine nüchterne Inventar-
aufzählung, sondern eine lebendige, klar stilisierte Be-
schreibung der Materialsammlung des Museums. Er
schleppt sich also nicht mit totem Ballast, wie Mass-
angaben und ähnlichem, für das grosse Publikum neben-
* „Kunst und Künstler", Jahrg. VI, Seite 51.
sächlichen Dingen, teilt dafür aber alles Wesentliche
und zum wahren Verständnis und zum Genuss Notwen-
dige in der vom Zweck geforderten Kürze und in leicht
verständlicher Form mit. Er vermittelt nicht nur die
nötigen kultur- und kunstgeschichtlichen Daten, sondern
lehrt auch die Dinge wirklich verstehen, indem er
durch Vergleich ihre charakteristischen Eigenschaften,
ihre Vorzüge und Schwächen, und besonders die
Entwicklung des Einen aus dem Andern klargelegt. Es
sucht der Führer die Schätze des Museums nicht nur
dem Verständnis der Besucher, sondern auch ihrem
Empfinden nahezubringen und sie so zu wirklichem
ästhetischem Genuss des Dargebotenen anzuleiten. Da-
mit erzieht er gleichzeitig in bedeutendem Grade, so-
weit das eben mit Worten geschehen kann, zu Verständ-
nis und Genuss der Kunst überhaupt.
Die von WölfFJin geforderte Probe auf eine gute
Beschreibung besteht der Volbehrsche Führer: bei jeder
Lektüre ausserhalb des Museums wird die Vorstel-
lung von den beschriebenen Gegenständen wieder
erzeugt, wie ich oftmals und nach lange zurückliegen-
dem Besuch des Museums bei Freunden und an mir
selbst festgestellt habe. Das gelingt auch ohne Zuhilfe-
nahme der dem Buche beigegebenen Abbildungen.
Demnach erfüllt also das Buch seinen im Titel an-
gedeuteten Zweck. Es besitzt jedoch noch eine andere
darüber hinausgehende Eigenschaft: es ist gleichzeitig
ein zuverlässiger, eigenartiger Leitfaden durch die mei-
sten und bedeutendsten Gebiete der Kunst- und Kultur-
geschichte. Diese Güte verdankt der Führer den nicht
oft in einer Person zusammentreffenden Eigenschaften
seines Verfassers. Dieser beherrscht nämlich nicht nur
die Kunst- und Kulturgeschichte sowie die anderen für
einen Museumsleiter unumgänglich nötigen Fachkennt-
nisse, sondern er ist auch ein Mann von sicherem künst-
lerischen Verständnis und Gefühl, der die Gabe hat,
dies Verständnis und Gefühl analysieren und in ver-
ständliche Worte kleiden zu können.
Schliesslich mag noch erwähnt werden, dass die
neue Auflage des Führer im Vergleich mit der ersten
ein unumstösslicher Beweis und ein schönes Zeugnis
von Volbehrs unermüdlicher Fürsorge für das von ihm
geschaffene Werk, für die Erweiterung, für den Ausbau
und die Verschönerung seiner Sammlung ist. Alle Ab-
teilungen sehen wir vervollständigt; andere ganz neu
geschaffen und angegliedert. Vor allem hat die Ge-
mäldegalerie, und darin wiederum die neuzeitliche Ab-
teilung, eine erstaunliche Bereicherung erfahren. Bei
diesem energischen Weiterschreiten wird das Magde-
burger Kaiser Friedrich-Museum in absehbarer Zeit der
Rührigkeit seines Leiters eine wenn auch nicht an Zahl,
so doch an Qualitäten sehr reiche moderne Gemälde-
sammlung verdanken, die einen getreuen Überblick über
die Entwicklung der neueren Malerei gewährt.
NEUNTER JAHRGANG. SECHSTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 17. FEBRUAR. AUSGABE AM ERSTEN' MÄRZ NEUNZEHNHUNDERTEI.F
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERANTWORTLICH IN ÖSTERREICH-UNGARN: HUGO HELLER, WIEN I.
VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG.