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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 9.1911

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Heft 8
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Liebermann, Max: Empfindung und Erfindung in der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.4706#0381

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erst nach Vollendung des Werkes entdeckt er voller
Grauen die Schwierigkeiten, die zu überwinden
waren,und er würde sein Werk nicht unternommen
haben, wenn er sie vorher erkannt hätte.

In der bildenden Kunst ist geistige Vollendung
zugleich technische Vollendung, denn in ihr sind
Inhalt und Form nicht nur eins sondern identisch.
Es ist daher ein müssiges Spiel mit Worten das
Kunstwerk in zwei Bestandteile zerlegen zu wol-
len : in ihm ist die Phantasie materialisiert und um-
gekehrt die Technik vergeistigt worden.

Wenn Rembrandt sagt, dass das Werk vollendet
sei, sobald der Künstler ausgedrückt hat, was er
hat ausdrücken wollen, so heisst das nichts anderes,
als dass die Arbeit des Künstlers reine Phantasie-
thätigkeit ist. Gut malen heisst also mit Phantasie
malen und die schönste, breiteste, flächigste Malerei
bleibt äusserliche Virtuosität, wenn sie nicht der
Ausdruck der künstlerischen Anschauung ist. Die
Phantasie hört also nicht da auf, wo die Arbeit
beginnt — wie noch ein Lessing annahm, — son-
dern sie muss den Maler bis zum letzten Pinselstrich
die Hand führen. Weshalb ist denn oft die flüch-
tigste Skizze vollendeter als das fertige Bild? Weil
die in ein paar Stunden entstandene Skizze von der
Phantasie erzeugt ist, während die wochen-, ja
monatelange Arbeit am Bilde die Phantasie ertötet
hat. Nicht etwa die Technik, sondern die Phanta-
sie ist die Ursache, dass nur die al Prima-Malerei
was taugt, denn die Phantasie ist ebensowenig eine
Heringsware wie die Begeisterung: nur das unter
dem frischen Eindruck der momentanen Phantasie
flüssig ineinander gemalte Stück hat inneres Leben.

Daher giebt es keine Technik per se, sondern
so viele Techniken als es Künstler giebt. Und
ohne eigene Technik kann es keine eigene Kunst
geben. Franz Hals' Technik entspringt ebenso sei-
ner Naturauffassung wie die des Velasquez der sei-
nigen: Beide malten einfach, was sie sahn. Un-
bewusst kam in ihre Malweise ihre Persönlichkeit.

Man sehe sich die Bohemienne oder den In-
nocenz auf die angewandten Mittel an: das Hand-
werksmässige daran kann jeder Malklassenschüler.
Auch weiss man, dass der Papst dem Velasquez zu
dem Kopfe in Petersburg, der noch schöner sein
soll als der in Rom, nur eine Stunde gesessen hat;
und Franz Hals hat sicher nicht viel länger an der
Bohemienne gearbeitet. Gebt einem Stümper eine
Stunde lang die Phantasie eines Franz Hals oder
Velasquez und aus seiner Stümperei wird ein
Meisterwerk. Aber Hals und Velasquez hatten

keine Kunsttheorien; sie malten, was sie selber
sahn, und nicht, was Andere vor ihnen gesehn
hatten: sie waren naiv. Sie malten nur mit ihrem
malerischen unbewussten Gefühl und nicht mit
dem Verstände. Sie warteten nicht die Stimmung
ab, sondern die Stimmung kam, wenn sie den Pinsel
in die Hand nahmen.

Manet oder Leibl dachten malerisch. Sie such-
ten nicht das sogenannte Malerische in der Natur,
sondern sie fassten die Natur malerisch auf: die
Natur war für sie der Canevas für ihr Bild. Feuer-
bach, Mare'es oder Böcklin übersetzten ihre Stim-
mungen oder Gedanken in die Sprache der Malerei:
zum Ausdruck ihrer Sentiments bedienten sie sich
der Natur. Derselbe Gegensatz wie zwischen dem
naiven und sentimentalen Dichter besteht auch in
der Malerei: der naive Maler geht von der Er-
scheinung aus, der sentimentale vom Gedanken.

Aber gerade das Primäre ist das Entscheidende:
wie der wahre Dichter nur vom Erlebnis ausgeht,
so geht das wahre malerische Ingenium nur von
der sinnlichen Erscheinung aus. Letzten Endes
ist jeder Maler Porträtmaler; der Wirklichkeits-
maler Franz Hals oder Velasquez ebenso wie der
Maler der inneren Gesichte „Albrecht Dürer"
oder gar wie Rembrandt, unter dessen Pinsel die
Bildnisse der Korporalschaft des Banning Cocq
zur Nachtwache, dem phantatievollsten Bilde der
Welt, wurden. Dass dieses Gruppenbildnis einer
Schützengilde bis heutigen Tages die Nachtwache
heisst, dass beweist am schlagendsten, dass in der
Malerei die Erfindung nur in der Ausführung beruht.

Kunst ist Kern und Schale in einem Male: die
Phantasie muss nicht nur die Vorstellung von dem
Bilde erzeugen, sondern zugleich die Ausdrucks-
mittel, durch die der Maler seine Vorstellung auf
die Leinwand zu projicieren imstande ist.

Irgendein Corneliusschüler erzählte, dass er
München in aller Hergottsfrühe umkreiste, um sich
in weihevolle Stimmung zu versetzen, bevor er an
die Arbeit ging, und ins Atelier gekommen, „floss
der Contour". Aber Heinrich v. Kleist lässt in einer
Betrachtung über Berliner Kunstzustände im Jahr
i 8 11 einen Vater seinem Sohne sagen: du schreibst
mir, dass du eine Madonnamalst, unddass du jedesmal,
bevor du zum Pinsel greifst, das Abendmahl nehmen
möchtest. Lass dir von deinem alten Vater sagen,
dass dies eine falsche Begeisterung ist, und dass es
mit einer gemeinen, aber übrigens rechtschaffenen
Lust an dem Spiele, deine Einbildungen auf die
Leinewand zu bringen, völlig abgemacht ist.

4*7
 
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