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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 9.1911

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Heft 8
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Perfall, Anton von: Wilhelm Leibl in Unterschondorf
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https://doi.org/10.11588/diglit.4706#0405

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Das Geistreichste, was ich noch je gemalt sah, hatte an Leibl ihre volle Schuldigkeit gethan. Voll

von Natur kehrte er nach München zurück.

Zum klaren Beweis, wie falsch die Klassifizierung
Leibls unter die Bauernmaler ist, war sein nächstes
grosses Bild, das er dort begann, mein Vater, den
ich trotz seiner Höllenangst vor den unzähligen
Sitzungen doch dazu brachte.

Das war eine Aufgabe für Leibl! War es in Schon-
dorf mehr der „cri de la terre", den einst Courbet
vernommen, der auch Leibl in die Ohren gellte, so
reizte ihn jetzt eine vornehme Herrenrasse, die in dem
prächtigen Kopf kraftvoll
zum Ausdruck kam. Die cha-
rakteristische Hand, die aus
dem Schwarz der Kleidung
hervorleuchtet, das zarte
Goldkettchen, das das
eintönige Schwarz unter-
bricht, zeugen von derhohen
malerischen Kultur des
Künstlers.

Er malte den ganzen
Winter an dem Bilde, das,
in Paris mit der goldenen
Medaille ausgezeichnet,

das Eis der Kritik endlich
brach.

Mich trugen bunte
Schicksale in die Welt hin-
aus, er zog sich immer mehr
in die Natur zurück, und
der Ruhm, der ihm bald
wurde, vermochte ihn nicht
herauszulocken.

Wir sahen uns nicht

mehr, seltsamerweise. Es

war, als ob Keiner an die

unserer kurzen Freundschaft

war die Wand, eine getünchte weisse Wand. Ein
Lichtleben ging von ihr aus, das den Künstler in
den Stand setzte, mit seinen Figuren zu machen,
was er wollte. Sie trennt zwei Gruppen und ver-
bindet sie wieder. Absolute Klarheit über das Ge-
wollte ist vorhanden. Und diese Durchdringung alles
Stofflichen, gleichviel ob es sich um einen blitzenden
Knopf, ein rotes Tuch, eine gestrickte Mütze, eine
Hand, ein Ohr, einen Strumpf handelt — — eine
unerhörte Kunst dabei nicht langweilig zu werden.

Ich machte kein Hehl aus
meiner Bewunderung, er
schmunzelte nur zufrieden.
„Hat es schon jemand ge-
sehen:" fragte ich.

„Flaider war hier, er
meinte auch, es wäre mein
Bestes — aberwasnütztdenn
das, alle Zwei können wir
verhungern dabei. Weisst
du ein „G'schichtl" zu dem
Bilde ■—nein — also kauft
es auch kein Mensch."

„Sag, was du willst," er-
widerte ich, „mit dem Bild
musst du durchdringen."

Es war wirklich mein
innerster Glaube. Das wirkt
immer. Er war plötzlich in
heiterster Laune und machte
Feierabend.

„Die Kerle haben mir
Durst gemacht."

Er lud die „Politiker" zu
einerStehmaass ein obenbeim
Steininger. Da war er voll

Frische und Humor und das „frisch angestochene"
schmeckte ihm so herrlich, dass man selber Durst
bekam.

Da erzählte er dann von seinen neuesten Kraft-
stücken, von seinem Freund Courbet, mit dem er in
der Künstlerkneipe gerankelt, von der Jagd, die er
so leidenschaftlich liebte.

Es war eine herrliche Winternacht, als ich
meinen Heimweg nach Greifenberg antrat. Mir
war arg weh zumute, Abschiedsstimmung packte
mich, jetzt wusste ich erst, was der Freund mir war,
der Erwecker, der Zieler, der mir alle meine
bisherigen Weisschüsse rücksichtslos aufzeigte.

Die Unterschondorfer Zeit war zu Ende. Sie

LEIBL ALS JAGER. NACH EINER PHOTOGRAPHIE

frischen Eindrücke
rühren wollte, als ob Jeder fürchtete, irgend etwas
überaus Zartes, das die Zeit darüber gesponnen, zu
verwischen, oder zu vergröbern — und ich

meine, es war gut so.

Die Schondorfer Zeit ist ein Kleinod
meines Lebens geblieben, das ich vor jedem
rauhen Luftzug hüten möchte. Sie hat jetzt für
mich einen Ton erreicht, der nicht mehr feiner
zu geben ist.

Glücklich der Sterbliche, dem es gelungen ist,
aus einem Lebensausschnitt ein wahres Kunstwerk
zu schaffen, dessen Erziehungskraft bis zur Stunde
des Todes nicht endet.

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