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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 9.1911

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Heft 10
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Chronik
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nierende Ideologie der Protestier. Und Frankreich wird
die anmassende und recht unanständige Schulmeister-
zensur seiner Kunstkultur zu ertragen wissen.

Vor allem sollen die „Aestheten" schuld sein. Sie
sollen dem Handel verbündet sein, wird munter ver-
leumdet. Auch ein Dutzend Kunstschriftsteller, solche,
die man die Worpsweder der Kunstkritik nennen könnte,
bekräftigen es mit ihrer Unterschrift. Wer ist gemeint
ausser dem immer als Scheuche verwendeten Meier-
Gräfe? Wahrscheinlich doch vor allem auch „Kunst und
Künstler"*. Nun, Ihr Herren Protestler, hier ist die
Antwort mit Hörnern und Klauen: stellt Eure Idealität
auf das Niveau unseres Willens zur Kunst, unseres Stre-
bens zur Sache, malt so, dass Eure Bilder wert sind,
in diesen Blättern abgebildet zu werden — und Ihr
werdet erleben, wie sich eure Ansichten dann ganz von
selbst ändern. Leistet Ihr der deutschen Kunst erst jenen
höchsten nationalen Dienst, ausgezeichnete Kunstwerke
zu produzieren, so werdet IhrEuch der bis jetzt gebrauch-
ten Krücken schämen und nicht mehr Proteste unter-
schreiben, die so Unklares und Falsches sagen, in denen
kaum eine thatsächliche Angabe richtig ist und die am
Schlüsse eine sogenannte Statistik von einer unerhörten
objektiven Verlogenheit benutzt, Ihr werdet aufhören,
Unsinn über den Kunsthandel zu schreiben, den Ihr nicht
kennt, und aufhören, mit dem Misstrauen des Schwachen
dort Verrat zu wittern, wo keiner ist. Ihr werdet als
starke Gestalter den Weltmarkt erobern, ohne einen
Finger zu regen; denn dieser Markt will Weltwerte, die
bleiben und nicht sentimentale Heimatskünste, die die
Zeit gemächlich verspeist. Lernt das Geheimnis der
Qualität, die ihr im Namen der deutschen Kunst pro-
testiert; einerlei ob es mit oder ohneFranzosen geschieht.
Nur da liegt das Problem. Werdet unbedingt, Ihr nach
allen Seiten Bedingten; macht Euch zu Organen des
vorwärtsstrebenden Zeitwillens! Sucht die Gründe für
die von Euch bekämpften Unzulänglichkeiten in Euch
selbst. Habt nur recht viel herrliches Talent! K. S.

Aus einer Anzahl von Künstlerurteilen über diesen
„Protest", die in den „Süddeutschen Monatsheften" ab-
gedruckt worden sind, (darunter Äusserungen vonThoma,
Trübner — der als anfänglicher Protestler sich selbst
desavouiert, — Lovis Corinth, Carl Moll, Klimt, Slevogt
u.s.w.) drucken wir zwei besonders gute und charakter-
istische Entgegnungen ab.

In einem Wiener Völksstück schreit ein Agitator fortwäh-

* Fritz Erler verrät es. Er klagt uns an, wir verwendeten
einen Titel, den ein im französischen Rokoko lebender Russe
entworfen hätte. Ach ja, unser Titelbild! Zuerst war es von
Th. Th. Heine — der auch protestiert —: alle Welt war ent-
setzt; dann versuchten wir einen sehr schönen Umschlag von
Slevogt: ganze Reihen deutscher Künstler wurden ohnmächtig.
Nun suchen wir schon seit Jahren in dem Deutschland, in dem
ein neues Kunstgewerbe „blüht", nach einer zulänglichen Per-
sönlichkeit. Das ist auch ein Zeichen der Zeit. Somoffs Titel-
bild wird so lange nur beibehalten, weil die vielen Fritz Erler
selbst vor so einfachen Aufgaben vollständig versagen.

rend- „Für den kleinen Mann muss was geschehen". Daran
hat mich der „deutsche" Protest erinnert. Dass auch der eine
oder andere Künstler aufgesessen ist und mitprotestiert hat,
dürfte diesen selbst recht leid tun. Wien. Gustav Kumt.

Das Vinnensche „Quousque tandem" liegt mir zum zweiten
Male vor. Das erstemal, als es mir vom Verfasser zugeschickt
wurde, siegte bei mir die Höflichkeit, und ich hielt es für un-
nötig, den Sturm im Wasserglase zu beschwören. Die Fassung
mit der Gefolgschaft stolzer und noch stolzerer Namen lasst
eine allgemeine Verwässerung und Überschwemmung befürch-
ten und diesmal muss ich, mit Ausschaltung der Höflichkeit,
und obgleich „Freunde und Parteigenossen" genug sich dräuend
angeschlossen haben (— in der ersten Schadenfreude bloss,
hoffe ich —), diesmal also muss ich sagen, dass etwas Rück-
ständigeres und Unklareres selten zusammengestellt wurde als
dieses „Quousque tandem" nebst Anhang. Protest deutscher
Künstler — ein stolzes Wort! — das gleich dem etwaigen
Gegner seinen Platz ausserhalb der geistigen Grenzen des
Vaterlandes anweist und ihn schreckt!

Das alarmierende Wort „Deutsche Kunst", von so vielen
hier gebraucht, macht nachdenklich. Es erinnert an den Ruf
der Juristen nach dem Normalmenschen, den es, sagt man,
gar nicht giebt! Die beschworenen Geister deutscher Meister
sind in diesem Zusammenhange gleichermassen verdächtig.
„Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir." — Ich
fürchte, „deutsch sein" soll wieder einmal so viel heissen, wie
im Leiterwagen fahren, wenn alle Welt im Auto fährt. Ich
fürchte, es handelt sich um eine blasse Ängstlichkeit vor Fort-
schritt, vor Freierem. Angst der russischen Barte vor der Kul-
turschere. Angt um Güter, die wir noch gar nicht besitzen!
Denn nationale Eigenart in der Kunst!? Wir wahren die
unsere, wenn wir unsere Kräfte verstehen lernen wollen, und
Luft und Befruchtung daranlassen. Wenn unsere Wurzeln
stark und tief sind, werden sie nicht schwinden, weil Aste
und Knospen in der freien Luft (en plein air) stehen. Wirk-
liche Kraft zittert nicht. Wir dürfen eigene Fehler und
Schwächen im stillen lieben, aber nicht grossziehen. Und
schliesslich, wir haben einige Meister, deutsche Künstler, aber
eine deutsche Kunst haben wir nicht. Die entsteht nicht so
auf Wunsch. Das Abstempeln „Deutsche Kunst" hätte auch
nicht von uns zu geschehen, sondern durch überragende Be-
deutung sich den Völkern aufzuprägen! Deutsche Kunst des
sechzehnten Jahrhunderts, französische, spanische, sind Schul-
begriffe, historisches Arbeitsmaterial. Aber die grossen Söhne
der Nationen, sei's Rembrandt, Velasquez, Rubens, Dürer sind
eben grosse Maler der Menschheit, sind Söhne der Kunst. Und
das sind, in einer ununterbrochenen Folge, die grossen Maler
Frankreichs. Vom Beginn des vorigen Jahrhunderts bis zum
Ende und bis heute — denn noch leben einige der Grossen —
fliesst ein solch freudig rauschender, feuriger Strom von Kraft,
Gesundheit und Schönheit aus Frankreichs Kultur, dass wir
diese enorme Fülle wohl anerkennen müssen und anerkennen
sollten, da doch wir so gerne hören, dass — beiläufig —
Deutschland im gleichen Jahrhundert eine unglaubliche Fülle
von Musik der Welt geschenkt hat.

Nein, ich kann nicht annehmen, dass man dies bei uns
nicht einsieht, oder missdeuten will, — und diesem Reichtume
gegenüber auf die paar harten Taler klopfen will, die im leeren
Beutel klirren.

Es ist kein Wunder, dass schlechte und gute Propheten
die „kaufmännische Gründung" eines dieser Grossen weissagen.
Dazu gehört nicht viel Verstand. Dass Frankreich nicht ver-
steht, sich seine Schätze zu erhalten (die es offiziell, wie
überall auf der Welt, zum Teil gar nicht würdigt), bedeutet
für die Frage hier nichts. Allerdings die daraus gezogene
Schlussfolgerung: mit wenig Ausnahme käme nur Atelierab-
hub zu uns, bedeutet hier etwas —..eine |grobe Täuschung
nämlich! An den Plätzen, wo die Öffentlichkeit ;daran ein
Recht hat, handelt es sich um ernste Werke. Begleiterschei-
nungen sind nicht die Sache! Auch dem disziplinierten Heere
folgen Aasvögel und Marodeure!

Kommen wir zum Kern! Ich glaube, das ist alles gar
nicht so gemeint! Man würdigt ja — sehr überflüssigerweise
— den französischen Meister auf jeder Seite der Broschüre,
wenn man auch auf der anderen rasch wieder etwas davon

\ Demsc

* *

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