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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 17.1919

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Heft 1
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Scheffler, Karl: Die Neuerwerbungen der Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4754#0047

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DIE NEUERWERBUNGEN DER NATIONALGALER I E

VON

KARL SCHEFFLER

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Es bestand die Absicht den Neuerwerbungen, die
die Berliner Nationalgalerie in den Kriegsjahren
mit dankenswertem Eifer gemacht hat, einen beson-
deren illustrierten Aufsatz zu widmen. Nach genauer
Betrachtung der erworbenen Bilder und Zeichnungen
erweist es sich aber, dass diese Absicht unausführbar
ist, weil die Qualität der Werke einen solchen Aufwand
nicht rechtfertigen würde. Immer deutlicher kommt
eine Eigenschaft Ludwig Justis zum Vorschein, je länger
er sich als Direktor der Nationalgalerie bethätigt: es ist
eigentlich alles gut, was er plant und will, es klingt
alles überzeugend, solange man die Absichten den
Denkschriften entnimmt; werden die Pläne aber ver-
wirklicht, so enttäuschen die Resultate. Grundsätzlich
hatte Justi, zum Beispiel, recht, als er daran ging, die
Nationalgalerie umzubauen; das Ergebnis ist aber, wie
seinerzeit schon mitgeteilt wurde, so ausgefallen, dass
es einem lieber wäre, wenn man noch durch die alten
Räume dahinwandeln müsste. Grundsätzlich ist die
Absicht zu rühmen, Werke der neueren Meister und
der so lange verfemten Künstler der Sezession in die
Nationalgalerie zu bringen; die Auswahl ist aber durch-
weg so unglücklich, dass das Nichts besser wäre als es
diese Erfüllung ist. Die Bewegung, die Justi in der
Nationalgalerie schafft, dergestalt, dass dort eigentlich
immer gebaut, ausgestellt, neugeordnet und probiert
wird, wäre nur zu loben, wenn nur etwas Endgültiges
daraus entstände. So ist auch jetzt der Eifer, selbst im
Krieg viel Neues zu kaufen und es gut aufzustellen,
in gewisser Weise vorbildlich; was dabei aber bis jetzt
heraus gekommen ist, kann als vorbildlich leider nicht
bezeichnet werden. Es ist immer dasselbe in Deutsch-
land: das Wollen ist vortrefflich, die Arbeitsweise ist
sorgfältig, die Geldmittel werden stets beschafft; der
Qualitätssinn aber ist schwach und dadurch wird dann
alles verdorben. Das Publikum merkt es nicht gleich,
denn Ludwig Justi weiss mit seinen geschickten Denk-
schriften die Presse so zu überzeugen, dass sie im
allgemeinen den Willen für die That nimmt und laut
rühmt, was keineswegs rühmenswert ist. Man sieht im-
mer mehr ein, dass das Gute nur von einzelnen Per-
sönlichkeiten ausgeht, die sich und ihr Wollen gegen
Feindschaft und Unverstand durchzusetzen wissen. Was
wir in der Berliner Nationalgalerie lieben, geht fast
alles auf Hugo von Tschudis willensstarkes Qualitäts-
gefühl zurück; von dem Ruhm, den er der Galerie er-
rungen hat, zehrt sie noch heute und sie wird nicht im
Sinne dieses ungewöhnlichen Mannes weiter ausgebaut
werden können, bevor nicht wieder eine ebenso scharfe

Erkenntnis und reine Leidenschaft für die ausschliess-
lich gute Kunst an der Arbeit ist. —

Den ersten Neuerwerbungen begegnet man im
Liebermannraum. Es sind einige schöne Bilder des
Meisters gekauft worden, das „Haus in Hilversum",
der etwas stark, wie im bengalischen Licht daliegende
„Garten in Wannsee", das ausdrucksvolle Bildnis Richard
Straussens und eine Bildnisstudie des alten Rathenau.
Dazu kommen einige Leihgaben: das „Bierkonzert",
eine „Allee" und ein „Garten in Wannsee". Es sind
gute Bilder und an sich wertvolle Erwerbungen, aber
sie alle sind, mit Ausnahme des nur geliehenen „Bier-
konzerts" nicht das, was die Nationalgalerie für ihren
Liebermannraum eigentlich braucht. Auf der grossen
Liebermannausstellung der Berliner Akademie zum
siebenzigsten Geburtstag des Künstlers, konnte man
mit Fingern auf die Bilder weisen, die der Berliner
Nationalgalerie notwendig sind. Grundsätzlich ist dieses
zu sagen: nicht die Produktion der letzten Jahre ist für
die Galerie wichtig, unbedingt nötig, solange es über-
haupt noch möglich ist, sind Erwerbungen der besten
Bilder Liebermanns aus den achtziger und neunziger
Jahren; Die Nationalgalerie hat keine der Klöpplerinnen
oderNäherinnen, keine frühe Landschaft, kein Schweine-
bild, kein Interieur, kein Strand- oder Reiterbild, keine
Judengasse, keine Studie badenderjungen. Und so weiter.
Es wäre allein langjähriger Anstrengungen wert, das
Lebenswerk Liebermanns in einem einzigen Saal so
darzustellen, dass der Betrachter gewissermassen einen
Querschnitt hat und etwas wie den Extrakt des Lebens.

Noch stärker sind die Einschränkungen angesichts
des neuen Thomasaals. Mit richtigem Instinkt hat Justi
gefühlt, dass die Galerie bisher für Thoma viel zu we-
nig gethan hat. Er hat nun aber in zu grosser Eile ge-
kauft, ohne zu bedenken, dass kaum ein anderer neuerer
Meister so ungleich ist, wie Thoma und dass es zu den
zwar dankeswertesten, aber auch schwierigsten und ge-
duldigsten Thaten gehören würde, in einem eigenen
Raum den wesentlichen Thoma darzustellen, jenen
Thoma, der gewissermassen vor sich selber in Schutz
genommen wird. Wirklich schön, ohne Einschränkung,
ist von den Neuerwerbungen nur der Feldblumenstrauss
von 1872. Der frühe „Wasserfall" (1863) war ent-
behrlich, die „Gewitterlandschaft" von 1875 und die
,,Blühende Wiese" von 1879 sm^ sehr massig. Das
Mädchenbildnis von 1888 ist mittlere Qualität, da-
gegen sind die beiden Bildnisse von 1870 schöne Ar-
beiten. Von den Leihgaben ist der „Dorfgeiger" (1871)
fatal als Symbol und als Malerei, und die Seite Thomas,



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