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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 17.1919

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Heft 8
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Bethge, Hans: Wilhelm Lehmbruck
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4754#0347

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Seine Plastik ist frei von den malerischenEIementen,
die der Impressionismus, voran Rodin, und dieser mit
genialer Beschwingtheit, in die plastischen Gebilde
hineingetragen hatte, — sie hat eher eine Verbindung
mit den frühen Werken der Griechen und der gotischen
Welt. Viele und nicht die schlechtesten seiner Formen
bieten sich in visionärer Übertreibung dar, um ihre
innere, ihre seelische Wesenheit um so deutlicher zu
verkünden. Diese Verlängerungen der Glieder, diese
Dehnungen der Flächen sind aus dem Wesen der Natur
wie selbstverständlich abgeleitet, — man kann sehr
weit gehen im Übersteigern äusserer Formen und doch
natürlich dabei bleiben, das hat uns auch Rodin gezeigt,
besonders überzeugend in seinen späten Handzeich-
nungen.

Auch von Lehmbruck giebt es übrigens viele Hand-
zeichnungen und andere graphische Arbeiten. Die
besten darunter sind im allgemeinen jene, die mit
den einfachsten Mitteln hervorgebracht sind. Er hat
Akte gezeichnet, mit ganz primitiven, umreissenden
Linien, deren Atem man zu spüren vermeint, Akte
von einer evahaften Ursprünglichkeit. Eine Zeitlang
hat er Radierungen mit einem grösseren Aufwand
äusserer Mittel hergestellt, eine Medea und anderes,
aber diese Arbeiten sind innerlich magerer und weniger
überzeugend, trotz ihres äusseren Reichtums. Vieles,
was ihn quält, ist gerade in seine Radierungen hinein-
gegangen, die zuweilen auf eine Weise problematisch
anmuten wie man es bei Munch kennt, wenn auch
nicht so gewaltsam, und in denen man Gestalten be-
gegnen kann, die aus dem Inferno zu stammen scheinen
oder die doch von der Luft jener schmerzvollen
Regionen angeweht sind.

Lehmbruck hat immer wieder Mädchenköpfe und
Mädchengestalten modelliert. An ihnen ist etwas
Atherhaftes, ein holdes Glänzen seelenhafter Atmo-
sphäre. Die lyrische Zartheit, die keusche Sinnlichkeit,
den blütenhaften Schimmer, die wehvolle Süsse, das
Mona Lisa-Lächeln dieser Figuren empfindet man als
ein mystisches Wehen aus den zartesten und ver-
schwiegensten Clründen der Seele. Auf diesen innigen,
in sich versunkenen Köpfen, die oft einen so schemen-
haft-rätselvollen Ausdruck zeigen, liegt ein seltsam
unirdisches Glänzen, wie auf Sternen, die aus der
Ewigkeit auftauchen, um bald wieder in ihr zu ver-
schwinden. Manche dieser Köpfe sind wohl das am
holdesten Zwecklose in Lehmbrucks Werk, lyrisch
transzendental, vorfrühlingshaft, wie ein Grüssen aus
dem Lande Arkadien. Sie zeigen die schlanke Rundheit
und herbe Süsse einer wie in traumwandlerischer Sicher-
heit vereinfachten Form. Sie zeigen jene Ruhe, die nicht
Starrheit oder Müdigkeit, sondern eine im Innersten
gebändigte Bewegung flutender Empfindung ist. Die
schönsten unter ihnen sind durch ihre Einfachheit er-
haben und sanft umweht von der Luft des Unendlichen.

Bei Lehmbruck ist ein seltsammystischesZusammen-
fliessenvonElementen der gotischen und der hellenischen
Welt, ein reizvolles und nicht selten bezauberndes
Schauspiel. Seine Kunst ist im Grunde naturhaft, un-
geistreich , nicht aus dem Hirn, sondern aus Trieb und
Seele geboren. Ja, seine Arbeiten sind seelische Ge-
sichte, in eine aus gewissen visionären Besonderheiten
der Natur inbrünstig erfühlte Form gebracht, sie sind
von einer lauteren, keuschen inneren Wahrhaftigkeit,
deshalb werden sie auch bestehen bleiben über die Zeit
hinaus, in der sie entstanden sind.



■arm

CHRONIK

„KUNSTRAUB"
In den Zeitungen der Feinde, vor allem in der fran-
zösischen Presse, wird in den letzten Monaten von
Deutschland auch eine Kriegsentschädigung in Kunst-
werken gefordert und es wird dafür eine lange Liste
in deutschen Museen befindlicher Kunstwerke auf-
gestellt. Wortführer ist der Herausgeber der „Gazette
des Beaux-Arts" August Marguillier. Dieser Kunst-
schriftsteller beruft sich zur Begründung der Forde-

rungen auch auf den Aufsatz „Kriegsentschädigung in
Kunstwerken", den Dr. Emil SchäfFer geschrieben hat
und der im ersten Heft des 13.Jahrganges von „Kunst
und Künstler", im dritten Monat des Krieges, abge-
druckt worden ist.

In Deutschland haben die französischen Forderungen
eine umfassende Protestbewegung hervorgerufen. Es
ist Einspruch erhoben in der Presse und neuerdings
auch, am 6. April, in einer Versammlung von Künstler-

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