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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 17.1919

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.4754#0171

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DAS ENTZAUBERTE ITALIEN

VON

G. F. HARTLAUB

Heute scheinen uns viele Bücher aus der Zeit vor
der nationalen Feuerprobe des Krieges bereits
veraltet, maniriert und abstrakt: tastende Äusserungen
gleichsam provisorischer, heute schon abgestorbener Or-
gane der werdenden Neugestalt des geistigen Deutsch-
lands. Andere dagegen, die uns damals vielleicht nur
dünn und unsicher klangen, wirken heute wie eine —
nun bestätigte —Vorahnung. Viele Leser werden dahin
auch das kritische Reisebuch „Italien" Karl Schefflers
(Tagebuch einer Reise, Leipzig 1914) rechnen, das vor
dem Kriege viel Aufmerksamkeit fand und nun schon
seit geraumer Zeit in neuer Auflage vor uns liegt. Ob
sie im letzten Sinne damit recht haben, darüber zu ent-
scheiden, scheint uns gerade heute, wo künstlerische,
nationale und endlich politische Gesichtspunkte all-
zusehr sich übereinander schieben, noch unmöglich.

Anmerkung des Herausgebers:
Diese Betrachtungen sind bereits vor etwa viereinhalb Jahren
geschrieben worden und aus äusseren Gründen ungedruckt ge-
blieben. Entgegen meiner Gewohnheit, den Mitarbeitern meinen
eignen Büchern gegenüber, so weit es angeht, Zurück-
haltung zu empfehlen, teile ich diese Ausführungen mit, weil
sie, über den Anlass hinaus, viel Allgemeingültiges enthalten,
weil mein Buch nur Mittel geworden ist, etwas grundsätzlich
Wichtiges zu umschreiben. Karl Scheffler.

Ohne Frage war in Schefflers Schrift das Ethos einer
nationalen Auseinandersetzung mit dem Wesen italie-
nischen Geistes wirksam; und zwar selbstverständlich
nicht im Sinne einer Deutschtümelei, die sich bei dem
Herausgeber von „Kunst und Künstler" ja sonst auch
gegen moderne Franzosenkunst richten müsste, sondern
in einem höheren Verstände. Scheffler, der deutsche
Kunstschriftsteller, der romanischer Kultur so viel ver-
dankt, hatte längst vor dem Kriege eine vorsichtig wä-
gende Abrechnung mit dem lateinischen Kunstwesen
für nötig erachtet. Er wollte es unternehmen, den un-
geheuren, aus Wahrheit und Lüge, aus heiliger Über-
zeugung und Gedankenlosigkeit, aus Suggestion, Ver-
erbung und Erziehung ebenso wie aus unzerstörbaren
innersten Rechtsgründen zusammengeschweissten, im-
mer starrer, immer unnahbarer, vielleicht auch immer
unerträglicher gewordenen Zauberbann des Woites
„Italien" zu sprengen. Wer wusste denn eigentlich vor
lauter Kunst, Kultur und sonstiger Historie noch, was
Italien ist, genauer gesagt: was es uns Heutigen ist?!
Und was es uns nicht mehr ist, nicht mehr sein kann?
Karl Scheffler hatte den Willen, es klar und reinlich zu
sagen.

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