sucht. Picasso malte in dieser Zeit keine Bildnisse
von Menschen, wie sie scheinen, sondern Typen —
nicht einer Menschenklasse, sondern — von Seelen-
stimmungen. Schon damals achtete er auf Einheit
in seinen Darstellungen. Dem Gesichtsschnitt ent-
sprechen die Formen des Körpers und der Bau der
Gelenke. Er strebte danach, in der denkbarsten Ge-
drängtheit der Darstellung und in der strengsten
Knappheit der Ausdrucksmittel das höchste Mass
von Energie zu konzentrieren. Nichts war natür-
licher, als dass er sich in diesem Streben an der
ägyptischen Plastik orientierte, die dieses Problem
am vollendetsten gelöst hat. Von dieser Kunst kam
er zur Negerskulptur und hoffte durch weitere Be-
schränkung der Ausdrucksmittel zu noch intensiverer
Ausdruckskraft zu gelangen, gleichzeitig die Archi-
tektonik seiner Darstellungen mehr zu festigen wie
auch zu vereinfachen. Ich glaube nicht, dass ihm
das in der Epoche, deren Schutzheilige Negerstatuen
sind, so gelungen ist, wie er hoffte. Einmal ist der
architektonische Charakter seiner Darstellungen in
der rein dekorativen Flächenbelebung verloren ge-
gangen, indem er seine Figuren aus dem dreidimen-
sionalen Raum herauslöste; zweitens besteht ein
Widerspruch zwischen dem abstrakten Wert der
Linien und ihrer Bedeutung als Kontur einer realen
Form, das heisst sie ist bei Picasso weder rein abstrakt
ornamental, noch rein als Kontur einer Form an-
gewandt. Darin beruht das
Ungelöste dieser Bilder. Dass
entstellte und verzerrte Ge-
sichter bedrückend und
schaurig wirken können, ist
nicht neu. Aber so billige
Effekte suchte Picasso nicht.
Er wollte seelische Werte
durch Darstellung kubischer
Verhältnisse ausdrücken.
Auch aus der letzten Schaf-
fensperiode, in der dem jun-
gen Spanier das Kubische
ooebe
zen,
zur fixen Idee geworden ist, hat Stschoukine mehrere
Beispiele. Cezannes Grundsatz in der Natur stets
nach den Grundformen, nach Zylinder, Kegel und
Elipse zu suchen, der für Cezanne nur ein Grund-
satz war, wurde von Picasso als alleinige, künst-
lerische Forderung aufgestellt. Er hat die Malerei
zu einer Akademie für die Aufteilung aller Gegen-
stände in diese Grundformen gemacht. Picasso ging
sogar so weit, dass er nicht mehr selbst malte, son-
dern die Grundformen der Gegenstände in Pappe
ausschnitt, diese Pappteile übereinander legte und
sie mit ihren sichkreuzenden Schlagschatten malte.
Cezannes Grundsatz wurde dadurch ins Absurde
getrieben. Dadurch sind seine Bilder zu rätsel-
haften algebraischen Formeln geworden, die sich —
bis auf ihre schöne Tonharmonie — der sinnlichen
Anschauung entziehen. Immerhin hat Picasso seiner
Zeit ein neues Empfinden für die kubischen Weite
der Formen vermittelt.
Schon zeigt sich eine gute Wirkung von Picassos
theoretischen Versuchen auf manche seiner jüngeren
Zeitgenossen, indem sie, aufgewachsen unter dem
Impressionismus oder unter dem Einfluss Cezannes,
auf Picassos Anregungen hin dem Volumen neue
Bedeutung verleihen. Unter ihnen sind Tobeen und
Derain die Stärksten. Derain ist mit einigen vor-
trefflichen Stilleben und Landschaften vertreten, die
mit dem Vorzug absoluter Klarheit farbige Tiefe
und einen neuen Sinn für die
Gegeneinanderstellung der
Flächen verbinden. Eine mat-
tere Wirkung hat Picasso
auch auf Marquet, Puy und
einige Zeit auf van Dongen
gehabt, wenn auch nur in
der Weise, dass auch sie in-
nerhalb ihrer Kunst den Vo-
lumen ausdruckskräftigeren
Wert beimassen. Auch sie
sind bei Stschoukine vor-
trefflich vertreten.
PABLO PICASSO, DAME MIT FÄCHER
97
von Menschen, wie sie scheinen, sondern Typen —
nicht einer Menschenklasse, sondern — von Seelen-
stimmungen. Schon damals achtete er auf Einheit
in seinen Darstellungen. Dem Gesichtsschnitt ent-
sprechen die Formen des Körpers und der Bau der
Gelenke. Er strebte danach, in der denkbarsten Ge-
drängtheit der Darstellung und in der strengsten
Knappheit der Ausdrucksmittel das höchste Mass
von Energie zu konzentrieren. Nichts war natür-
licher, als dass er sich in diesem Streben an der
ägyptischen Plastik orientierte, die dieses Problem
am vollendetsten gelöst hat. Von dieser Kunst kam
er zur Negerskulptur und hoffte durch weitere Be-
schränkung der Ausdrucksmittel zu noch intensiverer
Ausdruckskraft zu gelangen, gleichzeitig die Archi-
tektonik seiner Darstellungen mehr zu festigen wie
auch zu vereinfachen. Ich glaube nicht, dass ihm
das in der Epoche, deren Schutzheilige Negerstatuen
sind, so gelungen ist, wie er hoffte. Einmal ist der
architektonische Charakter seiner Darstellungen in
der rein dekorativen Flächenbelebung verloren ge-
gangen, indem er seine Figuren aus dem dreidimen-
sionalen Raum herauslöste; zweitens besteht ein
Widerspruch zwischen dem abstrakten Wert der
Linien und ihrer Bedeutung als Kontur einer realen
Form, das heisst sie ist bei Picasso weder rein abstrakt
ornamental, noch rein als Kontur einer Form an-
gewandt. Darin beruht das
Ungelöste dieser Bilder. Dass
entstellte und verzerrte Ge-
sichter bedrückend und
schaurig wirken können, ist
nicht neu. Aber so billige
Effekte suchte Picasso nicht.
Er wollte seelische Werte
durch Darstellung kubischer
Verhältnisse ausdrücken.
Auch aus der letzten Schaf-
fensperiode, in der dem jun-
gen Spanier das Kubische
ooebe
zen,
zur fixen Idee geworden ist, hat Stschoukine mehrere
Beispiele. Cezannes Grundsatz in der Natur stets
nach den Grundformen, nach Zylinder, Kegel und
Elipse zu suchen, der für Cezanne nur ein Grund-
satz war, wurde von Picasso als alleinige, künst-
lerische Forderung aufgestellt. Er hat die Malerei
zu einer Akademie für die Aufteilung aller Gegen-
stände in diese Grundformen gemacht. Picasso ging
sogar so weit, dass er nicht mehr selbst malte, son-
dern die Grundformen der Gegenstände in Pappe
ausschnitt, diese Pappteile übereinander legte und
sie mit ihren sichkreuzenden Schlagschatten malte.
Cezannes Grundsatz wurde dadurch ins Absurde
getrieben. Dadurch sind seine Bilder zu rätsel-
haften algebraischen Formeln geworden, die sich —
bis auf ihre schöne Tonharmonie — der sinnlichen
Anschauung entziehen. Immerhin hat Picasso seiner
Zeit ein neues Empfinden für die kubischen Weite
der Formen vermittelt.
Schon zeigt sich eine gute Wirkung von Picassos
theoretischen Versuchen auf manche seiner jüngeren
Zeitgenossen, indem sie, aufgewachsen unter dem
Impressionismus oder unter dem Einfluss Cezannes,
auf Picassos Anregungen hin dem Volumen neue
Bedeutung verleihen. Unter ihnen sind Tobeen und
Derain die Stärksten. Derain ist mit einigen vor-
trefflichen Stilleben und Landschaften vertreten, die
mit dem Vorzug absoluter Klarheit farbige Tiefe
und einen neuen Sinn für die
Gegeneinanderstellung der
Flächen verbinden. Eine mat-
tere Wirkung hat Picasso
auch auf Marquet, Puy und
einige Zeit auf van Dongen
gehabt, wenn auch nur in
der Weise, dass auch sie in-
nerhalb ihrer Kunst den Vo-
lumen ausdruckskräftigeren
Wert beimassen. Auch sie
sind bei Stschoukine vor-
trefflich vertreten.
PABLO PICASSO, DAME MIT FÄCHER
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