Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 17.1919

DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Scheffler, Karl: Die Kunst und die Revolution
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4754#0180

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
wenigstens nichts, das in gleicherweise fähig wäre,
durch die Erregung des Egoismus die Menschen
produktiv zu machen. Gerechtigkeitsideen, wie
der Sozialismus sie predigt, sind, in all ihrer Ethik,
mehr ausgleichend wie produktiv. Es ist auch
keineswegs erwiesen, dass die sozialistische Welt-
anschauung in Deutschland endgültig gesiegt hat,
und es ist noch weniger gewiss, ob sie sich die
ganze Welt erobern wird, ob vor allem die Völker
der Entente mitmachen werden. Das aber wäre
nötig. Denn wenn auch nur ein einziges für die
Weltwirtschaft wichtiges Land im Kapitalismus be-
harrt, so wäre dem Sozialismus unter Umständen
sein ganzes Spiel verdorben. Der Künstler und der
Kunstfreund haben also alle Ursache in Ruhe ab-
zuwarten, was die Zeit bringt und nicht voreilig
Entschlüsse zu fassen.

Viele Künstler und Kunstfreunde sind anderer
Meinung. Sie haben sich mit unnötiger Eile, hier
und dort schon am Tage der Revolution, zusammen-
gethan zu „Kunsträten", haben Programme formu-
liert und Forderungen erhoben. Das einzig
Hoffnungsvolle bei diesem Thun ist, dass in der
Form der Räte zum erstenmal etwas wie eine
Berufsvertretung zustande gekommen ist. Eine
Berufsvertretung, die freilich noch — nicht
zuletzt durch die revolutionäre Geste — eine
Karikatur ist, die aber doch leise hinüberweist zu
einer überpolitischen Berufsvertretung, wie man sie
sich in einem idealen Herrenhause vorstellen
möchte. Diese Möglichkeit ist den Kunsträten
selbst scheinbar noch nicht zum Bewusstsein ge-
kommen. Es ist bezeichnend, dass sich auf der
einen Seite die „revolutionären" Künstler, die
„Jungen" zusammengethan haben, die „Expressio-
nisten, Futuristen und Kubisten", wie es in einem
Zirkular anmutig heisst, oder im bunten Gemisch
die Mittelmässigen und Akademischen. Die guten,
die besten Künstler fehlen sowohl hier wie dort.
Zusammengefunden haben sich vornehmlich
Künstler, die persönlich zu wenig bedeuten, die in
Massen auftreten müssen, um etwas zu erreichen.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen. In den
Programmen findet man viele jener Forderungen,
die seit Jahrzehnten schon erhoben worden sind,
nicht zuletzt in diesen Heften. Also be-
rechtigte Forderungen, mit denen jeder Kunst-
freund einverstanden sein wird. Trotzdem braucht
er nicht einverstanden zu sein mit dem Tempo, das
gefordert wird. Bevor nicht eine ordentliche
Regierung gewählt ist, sollte überhaupt nichts ent-

schieden werden. Während eines Provisoriums
trifft man nicht ungestraft folgenschwere Ent-
scheidungen. Die Kunsträte sollten darum die
Interimsregierung von Entschlüssen, die das Kunst-
leben tief berühren, mehr abhalten als dass sie dazu
antreiben. Es kommt nicht nur darauf an, dass
längst Gefordertes geschieht, sondern auch wie es
geschieht. Daneben aber sollten die Künstler und
ihre Freunde im Rat sich hüten, in der neuen Staats-
form einen Vorteil für sich zu sehen und sich der
Republik an den Hals zu werfen. Sie sollten sich
vor den Worten Freiheit und Gleichheit hüten.
Im Gegenteil, sie sollten vorläufig einmal die voll-
kommene Trennung alles Künstlerischen vom
Staatlichen, einerlei ob es dynastisch oder republi-
kanisch ist, fordern, oder besser noch in aller
Stille durchsetzen. Ob eine Dynastie Siegesalleen
errichtet oder eine Republik Volkshäuser baut und
ausmalen lässt, das kommt im Endergebnis un-
gefähr auf dasselbe hinaus. Die gute Kunst, die
entscheidende, hat in den letzten Jahrzehnten soviel
Freiheit gehabt, wie sie brauchte und sie wird in
Zukunft kaum mehr Freiheit erringen. Es handelt
sich gar nicht so sehr um das Verhältnis zur
Autorität. Jede Staatsautorität treibt ihre Kunst-
politik und alle Kunstpolitik ist von Übel. Ent-
scheidend für den Kulturzustand ist vor allem
die Qualität des Volkes. Diese Qualität war bisher
schlecht, sie ist heute schlecht und es sind nicht An-
zeichen, dass sie schnell besserwird. Darum istes auch
nur redensartlich, wenn ein Kunstrat sein Programm
mit solchen Worten einleitet: „Kunst und Volk
müssen eine Einheit bilden. Die Kunst soll nicht
mehr Genuss weniger, sondern Glück und Leben
der Masse sein." Die Kunst muss und soll
wieder einmal. Was helfen solche Programmworte,
wenn die Kunst nicht kann und das Volk unfähig
ist und gar nicht will. Kunst und Volk haben nie
eine Einheit gebildet. Auch nicht zur Zeit der
Gotik, auch nicht im alten Griechenland, Epochen,
die manchem ja vorschweben und nun wieder an-
zubrechen scheinen, weil Deutschland Republik
geworden ist und sozialistisch regiert wird. Das
höchste Können war immer nur bei einzelnen und
das Verständnis auch. Ein gutes Niveau aber ent-
steht nur, wenn mannigfache Voraussetzungen
wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller
Art zusammentreffen. Um eine solche Synthese
herzustellen, bedarf es vieler, vieler Jahre, einer un-
endlichen Arbeit, stiller Entsagung grosser Volks-
kreise und einer allgemeinen Vergeistigung mit

A irv



166
 
Annotationen