Eine Parabel
von vr. Lunkenbein.
Einst lebte im glücklichen Arabien ein Mann Na-
mens Selim. Im ganzen Morgcnlande war der Ruf
seiner hohen Weisheit und feiner Geheimnisse verbreitet,
die er aber stets nur zum Wohle seiner Umgebung und
Aller, welche aus weiter Ferne um Rath und Hülfe zu ihm
strömten, anwcndete. Drei Weiber hatten ihm drei Söhne
geboren, Hafed, Hassan und Abbas. Wie seine
Begriffe von dem höchsten Wesen, von der Welt, der
Natur des Menschen die reinsten und einfachsten waren,
so suchte er die hieraus sich gründenden Lehren seinen
Söhnen einzuprägen
Nach einem langen schönen Leben nahte die Stunde
seiner Auflösung. Er fühlte sie ohne Schmerz kommen,
rief die Söhne an sein Lager und sprach zu ihnen:
„Meine Kinder, ich suhle, daß die Stuudc uuserer Tren-
nung da ist. Mein Geist ringt sich bald los von seiner-
irdischen Hülle und geht zu Allah. Ich hinterlasse Euch
die Lehren der Weisheit und Tugend, die ich Euch stets
gelehrt; und dann diese drei Kästchen — hier reichte er
nach der Reihe an Hafed, Hassan und Abbas je
eines —, an deren Besitz eine höhere Hand Muth, Klug-
heit und Reichthum geknüpft hat. Gebrauchet sie
weise! Einzeln werden sie Euch nichts nützen;' aber
in brüderlicher Vereinigung Euch uud Andern
unendlichen Vorthcil gewähren; und Ihr könnt dann
einst so ruhig aus diesem Leben gchcu wie ich. Lebt
wohl!" Hier sank der ehrwürdige Greis schweigend zurück.
Seine Seele war entflohen.
Die nächsten Tage vergingen den trauernden Söhnen
unter Thränen um den Geschiedenen und den Anstalten
zu seinem Begräbnisse. Kaum aber war diese lezte
Pflicht erfüllt, so erinnerten sie sich mehr an die ihnen
übergebenen Schätze, als an die weise Lehre des Vaters.
Ein Jeder hielt sich im Besitze seines Kästchens für den
glücklichsten Sterblichen. Ein Jeder meinte, mit seiner
Hülfe wäre ihm Alles möglich und der Beistand der
Brüder entbehrlich. So saßten sie denn den Entschluß
sich zu trennen und Jeder aus seine Weise das ver-
meinte Glück zu suchen.
Der muthige Hafed ging nach Osten, wo ein gro-
ßer Herrscher so eben seine Vasallen zusammenrief, um
einen rächenden Einfall in das Gebiet seines Nachbarn
zu machen.
Alle Arme waren willkommen, und so ward denn
der kräftige Hafed bereitwillig im Heere des Königs
ausgenommen. Bald that er sich durch seinen Muth und
seine Kühnheit so hervor, daß er von Stufe zu Stufe
stieg und in wenig Jahren die nächste neben dem Herr-
scher einnahm. So lange war auch der Krieg glücklich;
das feindliche Land war erobert, sein bisheriger Beherr-
scher vertrieben. Plötzlich aber erhob sich das unter der
Asche glimmende Feuer zur Hellen Flamme. Das des
fremden Druckes müde Volk stand in Masse auf. Der
muthige Hafed, Statthalter des eroberten Landes ver-
achtete unklugerweise im Anfang diese Versuche, bis die
vor seiner Residenz wehenden Fahnen des in seiner Be-
geisterung unaufhaltsamen Volkes ihm keinen Zweifel
mehr am Ernste derselben ließen. Da sammelte er die
Seinen, um Einen Schlages die Empörer zu erdrücken.
Aber Allah war mit den Unterdrückten.
Hafed, tollkühn sich unter die Feinde wagend, ward,
mit vielen Wunden bedeckt, gefangen. Die Seinen flo-
hen und die alte Fahne wehte wieder im Lande. Hafed
aber ward in ein dunkles, nächtliches Gesängniß geworfen.
Hier auf kärglichem Strohe wollte man ihm Zeit lassen,
seine Größe und feinen Fall zu überdenken. Kaum da-
selbst angckommen, drang der ihm bekannt scheinende
Ton einer Stimme an sein Ohr: „Wer theilt die Ein-
samkeit meines Kerkers d" Hafed nahte sich dem Spre-
cher und erkannte in ihm bei dem schwachen Lichte seinen
Bruder Hassan. Nach den ersten Ausbrüchen des Er-
staunens und der Trauer erzählte ihm Lezterer seine ei-
genen Schicksale seit ihrer Trennung und den Grund
seines Hierseins.
Mit gleicher Zuversicht wie seine Brüder, und das
wichtige, verhängnisvolle Kästchen sorgfältig am Busen
verborgen, hatte Hassan die Stätte seiner Jugend ver-
lassen, und war nach einiger Zeit in die Hauptstadt ei-
nes benachbarten Reiches gekommen. Hier regierte der-
selbe König, welchen wir vorzüglich durch Hafcd's Tap-
ferkeit um sein Land kommen sahen.
Bald war der Rus des klugen Mannes, wie
Hassan genannt wurde, zu den Ohren des bedrängten
Herrschers gedrungen. Von ihm hoffte er weisen und
glücklichen Rath in der sich mehr und mehr nähernden
Bedrängnis erhalten zu könuen. Er ries ihn zu sich,
saud Wohlgefallen an ihm und ernannte ihn zu seinem
allmächtigen Wcssire. Aber trotz aller Klugheit des Mes-
sers eroberten die Feinde einen Theil des Reiches nach
dem andern. Ein tapferer Wessir war nöthig und
Hassan war nur klug. Darum verlor sich bald die
Gunst seines Herrn und der Alles vermögende Wessir
war in Kurzem wieder der jczt übersehene, verspottete
und unbedeutende Privatmann.
von vr. Lunkenbein.
Einst lebte im glücklichen Arabien ein Mann Na-
mens Selim. Im ganzen Morgcnlande war der Ruf
seiner hohen Weisheit und feiner Geheimnisse verbreitet,
die er aber stets nur zum Wohle seiner Umgebung und
Aller, welche aus weiter Ferne um Rath und Hülfe zu ihm
strömten, anwcndete. Drei Weiber hatten ihm drei Söhne
geboren, Hafed, Hassan und Abbas. Wie seine
Begriffe von dem höchsten Wesen, von der Welt, der
Natur des Menschen die reinsten und einfachsten waren,
so suchte er die hieraus sich gründenden Lehren seinen
Söhnen einzuprägen
Nach einem langen schönen Leben nahte die Stunde
seiner Auflösung. Er fühlte sie ohne Schmerz kommen,
rief die Söhne an sein Lager und sprach zu ihnen:
„Meine Kinder, ich suhle, daß die Stuudc uuserer Tren-
nung da ist. Mein Geist ringt sich bald los von seiner-
irdischen Hülle und geht zu Allah. Ich hinterlasse Euch
die Lehren der Weisheit und Tugend, die ich Euch stets
gelehrt; und dann diese drei Kästchen — hier reichte er
nach der Reihe an Hafed, Hassan und Abbas je
eines —, an deren Besitz eine höhere Hand Muth, Klug-
heit und Reichthum geknüpft hat. Gebrauchet sie
weise! Einzeln werden sie Euch nichts nützen;' aber
in brüderlicher Vereinigung Euch uud Andern
unendlichen Vorthcil gewähren; und Ihr könnt dann
einst so ruhig aus diesem Leben gchcu wie ich. Lebt
wohl!" Hier sank der ehrwürdige Greis schweigend zurück.
Seine Seele war entflohen.
Die nächsten Tage vergingen den trauernden Söhnen
unter Thränen um den Geschiedenen und den Anstalten
zu seinem Begräbnisse. Kaum aber war diese lezte
Pflicht erfüllt, so erinnerten sie sich mehr an die ihnen
übergebenen Schätze, als an die weise Lehre des Vaters.
Ein Jeder hielt sich im Besitze seines Kästchens für den
glücklichsten Sterblichen. Ein Jeder meinte, mit seiner
Hülfe wäre ihm Alles möglich und der Beistand der
Brüder entbehrlich. So saßten sie denn den Entschluß
sich zu trennen und Jeder aus seine Weise das ver-
meinte Glück zu suchen.
Der muthige Hafed ging nach Osten, wo ein gro-
ßer Herrscher so eben seine Vasallen zusammenrief, um
einen rächenden Einfall in das Gebiet seines Nachbarn
zu machen.
Alle Arme waren willkommen, und so ward denn
der kräftige Hafed bereitwillig im Heere des Königs
ausgenommen. Bald that er sich durch seinen Muth und
seine Kühnheit so hervor, daß er von Stufe zu Stufe
stieg und in wenig Jahren die nächste neben dem Herr-
scher einnahm. So lange war auch der Krieg glücklich;
das feindliche Land war erobert, sein bisheriger Beherr-
scher vertrieben. Plötzlich aber erhob sich das unter der
Asche glimmende Feuer zur Hellen Flamme. Das des
fremden Druckes müde Volk stand in Masse auf. Der
muthige Hafed, Statthalter des eroberten Landes ver-
achtete unklugerweise im Anfang diese Versuche, bis die
vor seiner Residenz wehenden Fahnen des in seiner Be-
geisterung unaufhaltsamen Volkes ihm keinen Zweifel
mehr am Ernste derselben ließen. Da sammelte er die
Seinen, um Einen Schlages die Empörer zu erdrücken.
Aber Allah war mit den Unterdrückten.
Hafed, tollkühn sich unter die Feinde wagend, ward,
mit vielen Wunden bedeckt, gefangen. Die Seinen flo-
hen und die alte Fahne wehte wieder im Lande. Hafed
aber ward in ein dunkles, nächtliches Gesängniß geworfen.
Hier auf kärglichem Strohe wollte man ihm Zeit lassen,
seine Größe und feinen Fall zu überdenken. Kaum da-
selbst angckommen, drang der ihm bekannt scheinende
Ton einer Stimme an sein Ohr: „Wer theilt die Ein-
samkeit meines Kerkers d" Hafed nahte sich dem Spre-
cher und erkannte in ihm bei dem schwachen Lichte seinen
Bruder Hassan. Nach den ersten Ausbrüchen des Er-
staunens und der Trauer erzählte ihm Lezterer seine ei-
genen Schicksale seit ihrer Trennung und den Grund
seines Hierseins.
Mit gleicher Zuversicht wie seine Brüder, und das
wichtige, verhängnisvolle Kästchen sorgfältig am Busen
verborgen, hatte Hassan die Stätte seiner Jugend ver-
lassen, und war nach einiger Zeit in die Hauptstadt ei-
nes benachbarten Reiches gekommen. Hier regierte der-
selbe König, welchen wir vorzüglich durch Hafcd's Tap-
ferkeit um sein Land kommen sahen.
Bald war der Rus des klugen Mannes, wie
Hassan genannt wurde, zu den Ohren des bedrängten
Herrschers gedrungen. Von ihm hoffte er weisen und
glücklichen Rath in der sich mehr und mehr nähernden
Bedrängnis erhalten zu könuen. Er ries ihn zu sich,
saud Wohlgefallen an ihm und ernannte ihn zu seinem
allmächtigen Wcssire. Aber trotz aller Klugheit des Mes-
sers eroberten die Feinde einen Theil des Reiches nach
dem andern. Ein tapferer Wessir war nöthig und
Hassan war nur klug. Darum verlor sich bald die
Gunst seines Herrn und der Alles vermögende Wessir
war in Kurzem wieder der jczt übersehene, verspottete
und unbedeutende Privatmann.