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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

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Pflanz, J. A.: Die Tyroler Finken
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https://doi.org/10.11588/diglit.45118#0078

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58

Die Tyrolcr Finken.
Ein Stückchen A l p e n l e b e n.
Erzählt von
A M. PMW.
Anmerkung. Wir bieten in dieser Erzählung des beliebten Volksschriftstellers unseren Lesern eine Sittenschilderung, ein treues Bild aus
dem Leben der Gebirgsbewohner und hoffen, von dieser Seite aufgefaßt, freundliche Aufnahme dieser „Tyroler Finken".
Die Redaktion.

Tyrol ist das Paradies der Steinböcke und Englän-
der, das Elysium der Gemsen und Berliner, der Lust-
garten der Alpenrosen und bleichsüchtiger Residcnzfräulein,
das Eden der Murmelthierchen und botanisirender Pro-
fessoren. Doch all das lebt und bewegt sich nur oben
auf den Bergen, wo die grünen, buntdurchwebten Alpen-
sturen sich ausdchnen, oder die von brausenden Alpen-
strömen zerrissenen Felsen ihre kahlen Gipfel in die Wol-
ken tauchen. Dort nimmt sich alles prächtig aus —
uuten in den Thälern aber, die sich dem Auge von oben
oft wie Felsenspaltcn darstellcn, wie z. B. das Eisakthal,
am Kuntersweg, den schon im Jahr 1315 ein Boz'ner
Bürger, Heinrich Kunter, mit königlicher Erlaubniß
durch die Felsen gesprengt, sieht's weniger glänzend aus;
Armuth und Noth begegnen hier dem Wanderer in den
kleinen Ortschaften; Bäume und Sträucher sind das Ein-
zige, was die Natur hcrvorbringt; weder fruchtpran-
gende Aecker noch duftende Wiesen, weder Garten noch
Weinberg — des genügsamen Thalbcwohners einziger
Reichthum ist die Zirbelnußkiefer, deren weißes, weiches
Holz er in tausenderlei Formen zu schnitzen weiß.
Dort wohnte auch, in einem Dörfchen, hart am reißen-
den Thalflusse, der alte Jäkel Murrer mit seiner Familie,
bestehend ans seinem Weibe, der alten Burgei, zwei Bu-
ben, dem jungen Jäkel und dem Benedikt Murrer, und
zwei Madeln, der jungen Burgei und dem kleinen Nan-
nerl. Der alte Jäkel und die Bub'n schnizten Zirbel-
holz, wie alle übrigen Bewohner des Oertchens, die Mäd-
chen halfen beim Bemalen der Figuren und die Mutter
kochte für alle zusammen Wälschkornbrci und Grundbirncn.
Daß man bei dem Figurenschnitzen kein Millionär wird,
ist leicht begreiflich und konnte man dicß auch beim al-
ten Jäkel Murrer wohl sehen. In der niedern Stube
mit den braunen Bretterwänden saßen der alte Jäkel
und der junge, ein Bursche von 18 Jahren, der Bene-
dikt und die junge Burgei, ein 14jähriges Madel, wie
Pfirsichblüth so frisch, um die schwere viereckige Tisch-
platte, welche auf einem plumpen Gestell ruhte, das
seine vier geschnitzten Beine aus einander spreizte wie ein
Paar störrischer Ochsen im Doppcljoch. Jedes hatte ein

Stück weißes Zirbelholz in der Hand, das sich bald in
eine niedliche Figur zu verwandeln begann. Es war
eine Freude, den fleißigen Leuten zuzusehen, wie sie herz-
haft an der weichen Masse herumschnitten und wie sich
nach und nach die Umrisse herausstellten: ein Esel, ein
schießender Jäger, ein Puterhahn, ein schlafender Nacht-
wächter, eine Gaise sammt dem Kitzlein. Der alte Jäkel
fuhr dabei gar ost mit dem Rücken der rechten Hand
über die Augen, was der Mutter, die bei dem Tische
saß, jedesmal einen Seufzer entlockte; sie mochte indeß
nichts sagen, um nicht die Heiterkeit der drei Kinder zu
stören, welche mit Heller Stimme muntere Alpenliedchen
sangen. Neben ihr saß das jüngste Mädchen, und beide
suchten sorglich von einem Hausen Kartoffeln die schönsten
aus, die sie getrennt von den schüchtern bei Seite leg-
ten; leztcre waren für die Haushaltung bestimmt, erstere
für den Markt. Die guten Leute hatten freilich im Sinne
gehabt, ihre Kartoffeln für sich zu behalten, allein —
man sollte eben auch Roggen kaufen zu Brod; denn das
einzige Aeckerlein war dieses Jahr verhagelt worden, und
man mußte doch Brod haben! Mit dem Figurenschnitzcn
ging'ö ebenfalls nicht mehr am besten; der alte Jäkel
hatte bereits blinde Augen, der älteste Sohn war vor
sechs Monaten gestorben und der junge Jäkel hatte die
Krankheit von ihm geerbt, ein bösartiges Nervenficber,
das ihn drei Monate lang aus's Mooslager hinstrcckte.
So war denn die Familie, die ohnehin nicht viel klebriges
gehabt hatte, gegenwärtig recht übel daran und sah einer
düstern Zukunft entgegen.
„'s Hilst Halter nix, Burgci! 's will eben kein' Ruck
nit thun, und wir kommen nimmermehr 'raus aus dem
Elend."
„Verlier' nur den Muth nicht, Jäkel! Der Herr hat's
gegeben, der Herr hat's genommen; sein Name sei ge-
priesen! — Und doch ist meine Hoffnung groß und mein
Glaube an ihn und mein Vertrauen aus seine Huld und
Gnade."
„O Burgei, meine Hoffnung ist nicht geringer als
die dein', und darum glaub ich auch, daß die Hand des
Herrn sich wieder zu uns wenden wird. Kommt jezt,
 
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