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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

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Glümer, Cläre von: Das Haideweib
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https://doi.org/10.11588/diglit.45118#0149

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Das Haidewcib.
Novelle nacb einer Volkssage ans Mittel-Frankreich.

Von
Cläre von Glümer.

Auf -er L)ai-e.
Wer zum ersten Male die Provinz Berry durchstreift/
nenut sie gewiß ein armes, ödes Land. Die Dörfer sind
klein, die Häuser eng und düster, die Felder bedürfen
angestrengter Bearbeitung und lange Haidestrccken durch-
schneiden den Wald.
Aber auf diesen Haiden, die mit ihren rothbrauncn
Blumcnbüscheln, ihren morastigen Wassertümpeln und
ihrem niedrigen Gestrüpp dem Wanderer so traurig er-
scheinen, ist das Leben reich und wundersam; denn hier
verkehren die Wald- und Wassergeister, die Feien, hier
lüäos genannt, und die klugen, neckischen Kobolde mit
den Menschen so vertraulich, wie Lei nns vor alter
Zeit, als wir noch keine großen Städte, Eisenbahnen
und Dampfschiffe hatten. Daher kommt cs auch, daß
die Hirten, die jung und unwissend zu den Heerden kom-
men, gar Manches lernen, was wir niemals erfahren,
und so gute Gedankcu, so klare Urtheilc haben, daß
wir darüber erstaunen.
Freilich sind nicht alle Erscheinungen auf der Haide
von heilsamem Einfluß, aber wer fromm ist und sich
dem Schutze der Muttergottes oder der heiligen So-
lange, der Schutzheiligen des Berry, anvertraut, ist vor-
der Macht der böfen Geister behütet.
Das wußte Claudine, die Hirtiu des Pachters von
Brignolles. Sie trieb ihre Thiere unerschrocken nach
dem äußersten Ende der Grauen-Haide und lag oft tage-
lang im Schatten des schwarzen Busches, obwohl diese
Orte kein Christ betritt, ohne sich mit dem Zeichen des
heiligen Kreuzes zu stärken. Die alten Weiber von
Brignolles schwaztcn viel darüber, aber wenn sie dem
Pachter Mathurin etwas zuflüstern wollten, sagte er
trotzig: „Laßt mich in Ruhe; die Claudine ist brav und
aufmerksam. Niemand in der Gemeinde hat so schöne
Schafe als ich. Wer so, wie ihr, nur ein armes, ma-
geres Thier besitzt, dem er auf Schritt und Tritt nach-
laufen und die Grashalme in's Maul steckeu kann, mag
immerhin am Kirchwege damit bleiben. Vielleicht wird's
dann fett und heilig zugleich."
Der Mathurin war freilich nicht von den Frommen.
Er bätte seine Schafe nach der Hölle treiben lassen, wenn

ihm dadurch eiu Nutzen geworden wäre. Aber die alten
Weiber ließen sich durch feine Ungläubigkeit nicht schrecken;
sie wiederholten ihre Geschichten Morgens beim Brunnen
und Abends beim Knminfeucr, wenn sie spinnend sich
vor den Hausthürcn aufsuchten oder Sonntags nach der
Vesper die Nachbarinnen begrüßten. Es dauerte auch
gar nicht lange, da hatten sic den Glauben verbreitet,
daß Claudine mit den bösen Geistern des schwarzen Bu-
sches im Einverständniß lebe. Sie brachten es sogar so
weit, daß die Geschichte im Dorfe nicht mehr Platz
hatte, sondern hierhin und dorthin flog und sich bald
bei diesem, bald bei jenem Hirtenfeucr nicderließ. Clau-
dine hätte auch gewiß bemerkt, daß man sie ganz an-
ders als sonst, halb spöttisch, halb scheu begrüßte, wenn
sie an einem ihrer Kameraden mit der Heerde vorüber-
trieb oder zur Messe in die Kirche von Brignolles ging;
aber sie hatte zu viel in den Gedanken, um sonderlich
aus ihre Umgebung zu achten. Es that ihr nämlich
weh wie nie zuvor, daß sie so arm war. Für sich selbst
brauchte sic wenig, sic war mäßig und arbeitsam wie
alle ihre Landsleute: aber gerne hätte sie ihrer alten
Mutter daun und wann etwas Gutes zu essen oder ein
warmes Kleidungsstück gegeben. Wenn sie sich aber die
nöthigen Holzschuhe gekauft hatte, blieb nicht viel mehr
von ihrem Lohne übrig, als der Miethzins für das
Hüttchen, wo die Mutter wohute, uud das Stück Feld,
worauf sie Kartoffeln und etwas Hanf erbaute. So mußte
die alte Frau durch Spinnen verdienen, was sie übrigens
brauchte, und trotz alles Fleißes möchten die Beiden
schlimme Tage gehabt haben, hätte nicht die Gevatterin
der Claudine zum neuen Jahre immer iraend ein
nöthiges Kleidungsstück geschenkt. Zuweilen brachte auch
die Pachtcrsfrau ein Tuch oder eine Schürze vom Jahr-
markt mit, und so war's noch immer ganz ordentlich bei
der Mutter Toinon, und ihre Claudine war Sonntags
keine der Unscheinbarsten, wenn auch ihre Haube gestopft,
und ihr Tuch verwaschen war. Aber seitdem der Pros-
per so viel mit dem Mädchen gesprochen und getanzt hatte
wobei er ihr erzählte, daß ein braver Bursche und ein
fleißiges Mädchen heirathen können, wenn sie dreißig
Thaler haben s, war Claudincn's Ruhe dahin. Dreißig

I Unter Thalcr versteht der französische LandinannFünffrantenstücke.
 
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