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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

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Mundt, Theodor: Residenzgeschichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.45118#0047

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llekidcnzgeschichten.
Von

1. Bekanntschaften im Opernhause.
Im Königlichen Opernhause zu Berlin wurde Meyer-
beer's „Prophet" gegeben, und alle Plätze des schonen
Hauses waren mit einem dichtgedrängten und glänzen-
den Publikum besetzt, welches seine Entzückungen zwi-
schen der Musik des berühmten Maestro und dem seine
Gastspiele darin eröffnenden pariser Sänger Roger theilte.
In einer der ersten Ranglogen, in der nur Damen Platz
gefunden hatten, war zu Anfang der Vorstellung eine
etwas unruhige Bewegung ausgefallen, die seltsamerweise
auf einen zwischen den Inhaberinnen dieser Plätze ent-
standenen Conflict deutete. ' Die Wirkungen der Musik
schienen einen Augenblick Frieden in dieser Sache gestif-
tet zu haben.
Man war in den Nachbarlogen auf diesen noch nicht
hinlänglich klar gewordenen Vorgang aufmerksam ge-
worden, als der erste Actschluß und das Fallen des Vor-
hangs die Gelegenheit zu neuen Beobachtungen bot.
Man sah, daß eine junge Dame, die unter den klebri-
gen in der ersten Reihe saß, ohne, wie es schien, zu
denselben zu gehören, zum Gegenstand eines nicht sehr
zurückhaltenden Mißvergnügens bei den Andern gewor-
den war. Sie zeichnete sich durch eine ungewöhnliche,
in jeder Weise pikant zu nennende Schönheit, zugleich
aber durch eine Toilette aus, deren Einzelbestandtheile
so glänzend und geschmackvoll als möglich waren, die
jedoch in ihrem ganzen Zuschnitt auf eine über alle Maßen
freigebige Weise darauf berechnet war, das Studium des
Nackten an diesen freilich ungemein schönen und edlen
Formen zu begünstigen. Es wurden dadurch die weit-
reichendsten Entblößungen von Nacken, Schultern und
Busen dargcboten und, bei einem sonst durchaus hal-
tungsvollcn und vorwurfsfreien Benehmen, doch die
öffentliche Enthüllung der Gestalt so weit getrieben, daß
die neben ihr fitzenden Damen ihre anfängliche Verlegen-
heit bald in eine laute Empörung übergehen ließen.
Es war dazu insofern ein gerechter Anlaß vorhanden,
als diese Damen in einer so auffallenden und alle Lorg-
netten herausfordernden Nachbarschaft sich selbst in ihrer
Unbefangenheit beeinträchtigt fühlten und zu Mitleidcn-
dcn dieser cigenthümlichen Situation gemacht wurden.

Aber die Art und Weise, wie man diese Entrüstung gel-
tend machte und durch starke Geberdcn uud Aeußerun-
gen jede Gemeinschaft mit der schönen Unbekannten ab-
lehnte, ging wieder weit über alle Grenzen hinaus und
ließ die Schuldige, die bisher in stillem Sinnen und
harmlosem Umhcrschaucn die gegen sic gerichteten Feind-
seligkeiten gar nicht zu bemerken schien, bald nur wie
das Opfer einer ungehörigen Verfolgung erscheinen. Zu-
weilen erröthete sie jedoch im tiefsten Purpur, der bald
das schöne ernste Gesicht überdeckte, bald sogar Schulter
und Nacken, deren zauberische Entblößung dich Alles
angerichtet hatte, wie mit zuckenden Schatten überflog.
Diese Farben schienen einem tiefverschlossenen Zorn an-
zugehörcn, der zu anderer Zeit vielleicht der hellsten Flam-
men der Leidenschaft fähig war, jedoch jczt einer harmo-
nischen und in den Weltformcn geübten Selbstbeherr-
schung gehorchte.
Sie war in dem cingetretenen Zwischcnact aufge-
standcn und hatte sich mit graciöscr Schnellkraft aus
den Ellbogen und Stuhlrückcn befreit, die ihre Nach-
barinnen in der Loge, um sie gewissermassen auf sich
selbst abzuspcrren, gegen sie wie eine Phalanx aufgerich-
tct hatten. Man hatte sich in einer so ausgesprochenen Ab-
wendung von ihr gcsezt, daß sie dadurch auf ihrem Logen-
platz nicht nur gänzlich isolirt, sondern auch beinahe gefan-
gen gehalten wurde. Sie erhob sich mit einer lächelnden
Sicherheit, die allen Hindernissen überlegen schien, und
schritt durch die Zwischenräume der Loge, die man jezt
bloß auf das dringende, aber unabweisliche Ansuchen ihrer
Blicke frei ließ, rasch hindurch. Dann, nachdem sie den
Shawl ganz dicht über ihre Schultern zusammengezogen,
eilte sie zur Thür hinaus, verfolgt von den ziemlich
lauten Ausrufungen der zurückgebliebenen Damen, welche
ihren Unwillen darüber nusdrückten, daß Personen die-
ser Art der Zutritt zu den Zuschauerräumen des König-
lichen Theaters gestattet sei. Zugleich rückte man auf
den Stühlen der beiden ersten Logenreihcn eng an ein-
ander, um sie bei ihrer etwaigen Rückkehr von ihrem
Platz auszuschlicßen.
In der unmittelbar angrenzenden Nebenloge befand
sich ein junger Mann, der mit gespannter Aufmerksam-
keit den ganzen Vorgang beobachtet hatte. Er sagte zu
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II. 3.
 
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