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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

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Eine Nichte Oncle Toms
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https://doi.org/10.11588/diglit.45118#0131

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N a ch I. N o m e r

vu.
Ein Selbstbiograph wird wohl nicht verpflichtet sein,
die chronologische Ordnung streng einzuhalten. Ich werde
also meine Lebensgeschichte mit einem Abenteuer begin-
nen, das nicht mein erstes war, behalte mir übrigens
das Recht vor, gelegentlich auch auf meine ersten
Jahre zurückzukommen. Für jezt genügt, wenn ich sage:
ich bin im englischen Cannda geboren, habe meine me-
dicinischen Studien in Newyork gemacht und war seit
14 Tagen am Bord des Schooners „die lustige Anne"
als Schiffschirurg, als wir nach einem Aufenthalt in
Fayale, in der Gegend der kanarischen Inseln, von ei-
ner Wasserhose überfallen wurden. Ich werde später
erzählen, wie ich, umhergeworfen auf dem Rumpf unse-
res gescheiterten Schooners, der einzig Uebriggebliebene
von all' meinen Gefährten, im Angesicht des unvermeid-
lichen Todes mich noch in einen lezten Traum einzu-
wiegen suchte, und endlich cinschlicf mit dem Wunsch,
lieber im Grunde des Meeres wieder zu erwachen als
auf einem der Schiffstrümmer Hungers zu sterben, und wie
dann plötzlich mir noch einmal die Hoffnung lächelte:
— ich sah ein Segel, das direkt auf mich zukam, und
dessen Mannschaft offenbar meine Nothsignale bemerkt
hatte. Ah! wie prächtig erschien mir dieses Schiff, viel
schöner als alle Bilder, die seit drei Tagen mir hie und
da in meinen Träumen vorgeschwebt hatten; wie bewun-
derte ich seinen eleganten Bau, die Symmetrie seines Ta-
kelwerks, wie glänzte in meinen Augen sein doppelt ge-
kupferter Bauch, der die Sonnenstrahlen zurückwarf,
wenn er sich über die Wellen hcreinbog. Ich glaubte
eine Kricgsbrigg zu erkennen, und bald unterschied ich die
Farben der spanischen Flagge. Es lebe Sant-Jago —
schrie ich, ich hätte in meiner Frendc auch es lebe Don
Quixote gerufen, die Spanier waren für mich in die-
sem Augenblick das ritterlichste aller Völker; eine Scha-
luppe mit sechs Matrosen und einem Officierc in einer
blauen Sammtweste kam auf mich zugerudert, einige
Minuten nachher stand ich inmitten meiner Befreier, sie
waren auf den Rumpf unseres Schooners herabgesticgeu.
— Willkommen, Sennor! rief ich auf spanisch, ich
bin glücklich, Euch zu sehen.
— Das glaub' ich gerne, erwiedcrtc der Fremde in
ganz gutem Englisch, aber mit sehr spanischer Betonung,

Denkwürdigkeiten
erzählt voll
Majo.
das glaub' ich gern. Ihr hattet da eine harte Nuß auf-
zuknacken, fuhr er fort, wo ist denn Eure Mannschaft? ...
Indessen hatte die Mannschaft der Schaluppe eben-
falls das Verdeck erstiegen. Sie stöberten überall herum
und sprachen zu dem Mann in der Sammtweste mit
einer Familiarität, die sonst bei Matrosen, einem Officier
gegenüber, nicht gewöhnlich ist. Als ich sie in die Cajüte
hinabsteigen sah, war ich sroh, daß ich mein Gold in
meine Tasche gesteckt hatte, denn Alle, die Sammtweste
nicht ausgenommen, schienen mir Leute zu sein, die nah-
men, wo was zu nehmen war.
Der Offieier war ein starker Mann, sein Gesicht dicht
von Blatternarben durchfurcht; auf der Wange und
dem Kinn trug er eine Schmarre, die ein Wald von
Bart nur zum Theil verdeckte; seine Stirn war niedrig,
seine Augenbraunen hochgewölbt, die Augen schwarz und
stechend, ein weißer Fleck darin gast ihnen einen cigcn-
thümlich widrigen Ausdruck. Die Matrosen sahen wo
möglich noch widerwärtiger aus als ihr Kapitän. Ich
hätte sie sogleich sür Seeräuber gehalten, wenn ihr Schiff
nicht ein gewöhnliches, vollständig ausgerüstetes gewesen
wäre, während die Flibustier in der Regel lange, nied-
rige platte Schooner haben. Aber konnten sie nicht die-
ses Schiff gewählt haben, um ihren Feind um so leichter
zu täuschen und ihre Beute um so gewisser zu überra-
schen? — Der Gedanke erschreckte mich nicht einmal sehr,
die Dichter lassen ja die Piraten so wunderschöne Rol-
len spielen. Ich war so weit entfernt, der Wahrheit
auf die Spur zu kommen, daß mich nicht einmal die
Sammtweste auf den rechten Weg brachte, als er mir-
erklärte, er komme von Cuba und segle nach der Küste
von Asrika. Er war etwas Schlimmeres als ein See-
räuber, er war ein Seelenverkäufer.
— Wie heißt Euer Schiff? fragte ich meine Be-
freier, nachdem ich ihnen meine Geschichte erzählt hatte,
während sie im besten Zuge waren, in der kleinen Cajüte
einige Flaschen Teneriffa zu leeren.
— LI Lomlo, erwiederte mir der Kapitän, und mein
Name ist Kapitän Pedro Garpez, Ihnen zu dienen.
— Nach welchem Hafen von Afrika segelt Ihr?
— Nach welchem Hafen? sagte er sichtbar verlegen;
ja das weiß ich so eigentlich nicht, das hängt von den
Umständen und vom Stand der Geschäfte ab.

Eine Nichte Vncle Toms.
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