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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

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Der gespenstige Organist
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https://doi.org/10.11588/diglit.45118#0093

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Der gespenstige Organist.
Novelle.

Vor einigen Jahren wurde mir die Frende zu Thcil,
auf einer Geschäftsreise meinen alten Freund und Leh-
rer K.welcher Cantor und Organist in der Stadt
B... war, nach langer Trennung wieder zu sehen und
zu umarmen. Das war ein Fest für uns Beide! —
Spielte doch selten Einer des großen Johann Sebastian
Bach riesige Werke für die Orgel mit größerer Kunst-
fertigkeit, mit solcher Präcision, solchem Ausdruck, sol-
cher Kraft und Liebe. Daß ich denselben während mei-
ner mehrtägigen Anwesenheit in B... gar oft vermochte,
mich in die dortige schöne Kirche zu begleiten, um mich
an seinem meisterhaften Orgelspiel wieder recht zu wei-
den, versteht sich wohl von selbst. Diese Stunden wa-
ren für mich die seligsten; — in einen entfernten Win-
kel des altgothischen Gotteshauses gedrückt, lauschte ich,
oft mit geschlossenen Augen, den mächtigen Weisen und
Klängen, welche der begeisterte Künstler dem majestä-
tisch'sten aller Instrumente entlockte, und welche gleich
gewaltigen Geisterchören durch die weiten Räume der
kolossalen Kirche hallten.
Sonderbar, — ja sogar auffallend aber war es mir,
daß ich weder bei einigen früheren Besuchen, — noch
auch jezt, jemals von demselben, so viele der treffli-
chen Orgelcompositionen Backfis er mir vorzutragen die
Gefälligkeit hatte, die berühmte 0 mol!-Fuge zu hören
bekam. So oft ich ihn gebeten hatte, mir diesen Genuß
zu bereiten, erhielt ich stets die Antwort von ihm, diese
Fuge werde er mir nie vorspielen; dabei nahmen die
Züge des sonst freundlichen Alten einen Ausdruck fast
wehmüthigen Schmerzes an. Ein Mal sezte er sogar
hinzu: „Bitten Sie mich nicht wieder darum. Warum
soll man sich selbst und Andere quälen durch das Her-
aufbeschwören böser Erinnerungen?"
Dennoch hatte ich mir im Stillen gelobt, das Ge-
heimniß endlich zu enthüllen, und wenn es sich noch so
tief in die Brust des guten Alten cingegraben hätte.
Meine Neugierde, die ich oft niedergekämpft hatte, wuchs
nun auf's Neue und dehnte sich aus wie der Pudel in
Göthe's Faust; auch wußte ich nicht, ob ich bei einem
spätern Besuch in B .. . meinen alten Freund lebend
wieder finden würde, da derselbe schon ziemlich nahe an
der Pforte stand, welche in das unbekannte Land führt.
Ich verfiel auf eine kleine Kriegslist. Ich wußte, daß
ein Glas alter Wein oder Punsch, in Gesellschaft guter
Freunde genossen, meinen K... in die behaglichste Laune
versezte, ohne daß er übrigens je deßhalb des Guten zu

viel genossen hätte. Darauf baute ich meinen Plan.
Ich ließ einige feiner besten Freunde aus der Stadt auf
den Abend des dritten Tages meiner Anwesenheit mit
K.'s Genehmigung zu uns auf eine Bowle dieses köst-
lichen, belebenden Getränkes einlndcn.
Das Mittelchen schlug an. Er wurde, während wir
um den Tisch herum saßen, sehr heiter und gesprächig
und erzählte aus seiner Jugendzeit und seinem Künstler-
leben allerlei komische Scencn und Schwänke; zulezt aber
auch verschiedene kleine sentimentale Begebenheiten. Jezt
ist es Zeit, dachte ich. Ich erinnerte ihn im Laufe des
Gesprächs unwillkürlich an seine mir zu wiederholten
Malen auf meine Frage, „warum er nie die Backfische
6moIl-Fugc spielen wolle?" rund abgeschlagene Beant-
wortung derselben, und bat endlich um Aufklärung über
die Ursache seiner eonstanten Weigerung. Die Tischge-
nossen stimmten sämmtlich mit in meine Bitte ein, und
K... sagte endlich nach langem Sträuben: „Nun wohl,
wenn Ihr mir und Euch den heitern Abend durchaus
verderben wollt, so will ich euch die Ursache mittheilen;
aber es wird euch gereuen und hinterdrein uns Allen
der Punsch nicht mehr schmecken."
Mit der gespanntesten Neugierde vernahmen wir fol-
gende Erzählung:
Bevor ich, so Hub er an, meine gegenwärtige Be-
dicnstung hier annahm, war ich, wie Ihr Alle wißt,
Organist an der Stadtkirche des Landstädtchenö A. ..
Einmal, ich hatte dort erst wenige Tage vorher mein
Amt angetretcn, weckte mich das kleine gellende Glöck-
chen, das zur Frühmctte rüst, plötzlich aus den: Schlafe.
Obgleich es mir war, als habe ich mich kurz vorher erst
zu Bett gelegt, so glaubte ich mich dennoch getäuscht zu
haben, zog mich daher schnell wieder an, nahm meine
kleine Blendlaterne zur Hand und trat durch das Hin-
terpförtchen heraus auf den Friedhof, an welchen meine
Wohnung unmittelbar grenzte, und an dessen entgegcn-
gcseztcm Ende die Kirche lag. Es war noch tief im
Winter, ungewöhnlich kalt, aber ziemlich hell, denn der
Schnee wimmelte in dichten Flocken nieder, und webte
seinen blendend weißen Schleier über den Boden und
die alten Denkmäler der darunter Ruhenden.
Rings umher lag tiefe, mitternächtliche Stille, durch
keinen Laut eines lebenden Wesens unterbrochen. Auch
sah ich keinen der andächtigen Bewohner des frommen
Städtchens nach der Kirche wandeln. Was mir aber
besonders auffiel, war, daß die Kirche noch ganz dunkel
 
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