Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

DOI issue:
Pflanz, J. A.: Die Tyroler Finken (Schluß)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45118#0089

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
E i ii

Die Tyroler Finken.
Stückchen A l p e n l e b e n.
Erzählt von


(Schluß.)

Nicht selten trifft man heutzutage noch eine Lithogra-
phie (auf künstlerischen Werth kann sie allerdings keinen
Anspruch machen), worauf „die Geschwister Maiuhold
aus dem Zillerthal" abgebildet sind, in ihrer National-
tracht, die zwei Brüder an einem Tischchen sitzend, die
Zither vor sich, die Mädels aber stehend, mit aufge-
sperrtem Munde, was das Singen andeuten sollte, eben
so gut aber auch als Gähnen genommen werden kann.
Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß „die Geschwi-
ster Mainhold aus dem Zillerthal" Niemand anders wa-
ren als unser Jäkel und Benedikt, unser Bürget und
Nannerl, und der hochbeinige Tyroler im Hintergrund
des Bildes ist kein anderer Mensch als der lange Eustach.
Der hat den Murrern auch den neuen Namen gegeben und
die neueHeimath; denn, sagte er, was wissen's da außen
vom Eisakthal und vom Grödner Thal, da muß alles
auö'n Zillerthal sein, bei diesen Kunstmusikanten. Auch
manches heitere Tyrolerlied sang der Eustach mit, und
beim „Finkenlied", das den Vieren ihren Beinamen gege-
ben hatte, spielte der Vogelhändlcr nicht die geringste
Rolle, indem er den Finkenschlag nachahmte. Auch ver-
sah der Alte die Stelle eines Einsammlers, und wußte
manchen Sechser und Dreibäzner durch drollige Einfälle
herauszulocken — für seine Finken, wie er sagte.
Anfangs kam es den armen Naturkindern freilich
sonderbar vor, um Geld zu singen — sie, die seither
nur aus innerm Antrieb ihre Lieder hatten erschallen las-
sen. „O Stachus" sagte einmal der gcmüthliche Jäkel, —
„'s ist halt doch ein sondcrlichs Ding um das Sing'n
da drinnen in 'er rauchigen Wirthsstub'n, oder, wann's
viel ist, draußen in 'em Biergarten, wo die Weibsna-
men Herumsitzen und stricken — 's ist halt kein Tyrol
nit und sind keine Leut nit wie in Tyrol."
Wann aber der lange Eustach die Gcldrolleu zählte,
die man aus den Groschen und Sechsern gemacht und
von Zeit zu Zeit durch den Grödner Toni, der mit
Citroncn handelte, nach Hause schickte; wann dann der
Grödner Toni erzählte, wie Vater und Mutter zu Hause
neu auflebten und täglich zu Gott flehtcu um Schutz und
Segen für die braven Kinder — dann kamen dem Jäkel
die rauchigen Wände der Gasthauszimmer wie heimische
Felder vor und seine wohltönende Stimme hallte durch

den düstern Saal hin, als ob darin Gemsen und Alpen-
kühe weideten.
So war der Frühling vorbeigegangen, der Sommer,
ja der größte Theil des Herbstes — die Finken schlugen
noch immer fort und wurden von Tag zu Tag muuterer.
Die Zeit, wo sie heimzuzichen sich vorgeuommcn hatten,
war bereits vorüber — noch immer schlugen die Tyroler
Finken.
Da kam Weihnachten heran — sollten sie das Christ-
kindlein daheim allein lassen?! Auf! dem Süden zu ging
nun die Reise, bereits schon über Schnee und Eisdecken.
In München wollten sie sich zum leztenmale hören lassen
in einem „Conzertc", und dann in die theure Heimath
ziehen.
Das Conzert siel in die Woche vor Weihnachten; ein
weitverbreiteter Ruf der Tyroler Fiuken hatte das kunst-
liebende Publikum auf diese bereits aufmerksam gemacht
und deßhalb füllte sich der Saal mit Zuhörern — Jeder-
mann wollte die Tyroler Finken hören. Die Erwartun-
gen wurden aber auch auf'ö Vollkommenste befriedigt,
Alles klatschte Beifall den lebensfrohen Liedern, den quel-
lcnklaren Naturstimmcn der jugendlichen „Künstler."
Da griff Jäkel in die Saiten der Zither, einige ernste
Akkorde brachten zauberschnell eine ganz andere Stim-
mung in die Zuhörerschaft, und ohne weitere Verabre-
dung, wie auf geheimen Antrieb, stimmten die Geschwister
das schönste ihrer Lieder an:
Stille Nacht, heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
Nur das traute, hochheilige Paar —
Gottes Sohn, o wie lacht
Lieb' aus Deinem göttlichen Mund,
Da uns schlug die rettende Stund',
Jesus, in Deiner Geburt!
Wie ein milder Thau hatte sich das Lied auf die
Gemüther der Zuhörer gesenkt und sie mit heiligem
Schauer erfüllt.
Sonderbar! Niemand sagte, daß das Conzert zu
Ende sei; Niemanden fiel cs ein, auch nur zu fragen,
ob noch ein Lied folge; Alles fühlte, daß nichts mehr
 
Annotationen