Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

DOI Heft:
Sforini, L.: Der Badearzt (Schluß)
DOI Heft:
Wöhrn, G.: Die Heimathlosen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45118#0158

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


haben; doch wich ich nicht von der Stelle, bis sie ihn
dem Heiligthume einer Geheimschatulle entzog.
Ach las und las wieder; dann lachte ich hell auf,
warf mich der Hofräthin um den Hals und fagte: wir
müssen Freunde bleiben für's ganze Leben, indem wir
Beide dasselbe Schicksal gehabt, Beide einen und densel-
ben Mann geliebt hatten, und wiederum Beide von ei-
nem und demselben Manne verrathcn worden waren.—
„Was macht doch die Liebe blind," drohte ich, als die
kleine, anerkannt geistreiche Frau mich gar nicht verstehen
wollte. Es war aber auch ein Cabinetsstück — dieser
Brief. Erst als ich ihr ausführliche Commcntarc über
denselben geliefert, gingen ihr die Augen auf. Sie
staunte, weinte, tobte; endlich aber lachte sie und wir
blieben Freunde."
„Was schrieb denn der Doktor?"
„Die schönste Liebeserklärung, welche die Eine, wie

die Andere auf sich beziehen konnte. Er sagte zum Bei-
spiel: jener Sommer, in welchem ihm der Stern eines
neuen Lebens aufgegangen, werde ihm ewig unvergeß-
lich bleiben; er hoffe, der Brief gelange in die rechten
Hände und werde verstanden von dem schonen Herzen,
zu dem er spreche."
„Er war aber adressiert an die Hofräthin, nicht?"
„O ja, aber am Ende desselben hieß es, sie möge ihn
mich lesen lassen, — was sie jedoch unterließ."
Meine Tante suchte mich eben, denn der Wagen stand
bereit: ich war sehr froh, von der Oberbauräthin los-
zukommen, ehe ich ihr Etwas gesagt, was ihr wohl recht
abgeschmackt vorgekommen wäre.
Am Heimfahren aber dachte ich:
„O Krankheit unserer Zeit! — Bädersucht, Bade-
arztroutine und junge Frauen ü In George Sand!"


Die Heimathlosen.
Skizze aus den Memoiren eines Lebenden.

Geschäftig rannten die Kellner des Kaffeehauses clel
popolo in Mailand hin und her, die Spieltische und
Speisetafcln ordnend, denn es war heute Klubbtag der
Verbindung „Hoffnung Italiens" und zahlreicher Besuch
stand zu erwarten. Der einzige um diese Zeit — es war
kaum 4 Uhr — anwesende Gast war ein ältlicher Mann,
der düster und in sich gekehrt in einer Ecke saß, mit sei-
! nem dicken Bambusrohre gedankenlos hieroglyphische Bil-
! der auf den Boden zeichnend. Das Acußcre des finstern
Gastes ließ schließen, daß er dem Militärstande angc-
hore. Der volle französische Backenbart zog sich scharf
abgekantct bis unter die Backenknochen, indcß der dichte,
halbergraute Schnurrbart, beinahe den Mund bedeckend,
dem Manne ein fast martialisches Aussehen verlieh. Er
faß mehrere Stunden beinahe bewegungslos, bis der weite
' Saal nach und nach mit Gästen sich füllte und er, von
allen Seiten begrüßt, bald in eifrige Convcrsation gerietst,
das Gespräch mit lebhaften Gestikulationen begleitend,
wobei fein unter den dichten Brauen stervorblitzendes
Auge, das sonst selten längere Zeit auf einem Gegen-
stände hasten blieb, den mit ihm Sprechenden bis auf
den Grund des Herzens dringen zu wollen schien.
Es war gerade zu der Zeit, als Feldmarschall Ra-
detzky in Eilmärschen gegen Mailand gezogen kam, um
L die italienische Insurrektion zu unterdrücken, — natür-
L ,_

lich drehte sich das Gespräch in diesem Volksklubb nur
um die drohende Gefahr und die Mittel zu deren Abweh-
rung. Kamen dabei die extremsten Plane in Vorschlag
so war unter denen, die sich in den höchsten Extrava-
ganzen bewegten, der oben beschriebene Mann wiederum
der cxaltirteste Kopf.
Graf Nrbano war früher österreichischer Offizier
gcweseu, hatte aber durch die zügelloseste Spiclsucht sein
Vermögen verloren und seiner Ehre so weit vergeben,
daß er aus dem kaiserlichen Heere auszutreten gezwungen
war. Ohne Anhaltspunkt, da er der lczte Sprößling
seines Geschlechtes, und um seinen drohenden Gläubigern
zu entgehen, flüchtete er aus Oesterreich und hoffte im
Beete der Revolution sich einen Heerd gründen zu können.
Wir wollen jczt das (labe clel popolo und seine cxal-
tirten Besucher verlassen, und uns in ein kleines Zim-
merchen der 8timüa nuova begeben.
Es ist später Abend, 8 Tage nach der eben beschrie-
benen Scene, — ein junges Mädchen, ungefähr zwanzig
Aahre alt, kniete vor dem Bilde der Madonna, des ein-
zigen Zimmcrschmucks der ärmlichen Wohnung. Ihr
klares, frommes Auge blickte schmerzvoll zu der Gnaden-
spenderin empor, tiefen Gram, in diesem Augenblicke
auch noch mit den Anzeichen höchster Angst gemischt, zeig-
ten die jugendlichen Züge dem Beschauer.
 
Annotationen