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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

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194

Lose Blatter.

Altes und Neues.
Nach La BruyLre. Von vr. L—n.
Es gibt Etwas, das man nicht unter dem Himmel
gesehen hat und allem Anscheine nach auch niemals sehen
wird: das ist eine kleine Stadt, welche nicht in Parteien
gethcilt ist; wo die Familien einig sind und die Vettern
sich mit Vertrauen sehen; wo eine Heirath nicht einen
Bürgerkrieg erzeugt; wo der Rangstreit sich nicht alle
Augenblicke erhebt beim Opfer, beim Räuchern und dem
geweihten Brode, bei den Prozessionen und Leichenbe-
gängnissen; aus der man das Geklatsche, die Lüge und
die Verläumdung verbannt hat; wo man den Amtmann
und den Präsidenten, die Stcucrräthe und Assessoren mit
einander sprechen sieht; wo der Dechant gut lebt mit
seinen Kanonikern, wo die Kanoniker nicht die Capläne
geringschätzcn, und wo diese die Vorsänger ertragen. —
Kann es ein kürzeres und doch treffenderes Bild aller
Kleinstädtereien geben, als uns hier der treffliche Sitten-
und Charaktermalcr vor Augen stellt? Daß aber Nie-
mand sich davon getroffen fühlt, dafür ist gesorgt, da
wir Alles auf Andere, nie auf uns selbst anzuwenden
meisterhaft verstehen.
Es ist die tiefe Unwissenheit, welche den dogmatischen
Ton annimmt. Der nichts weiß, glaubt die Anderen zu
lehren, was er selbst lernen sollte; wer viel weiß, denkt
kaum daran, daß das, was er sagt, unbekannt sein
könne, und spricht gleichgültiger.

Die größten Dinge wollen nur einfach gesagt sein,
sie verlieren durch Schwulst und Emphase; Unbedeuten-
deres muß man edel sagen; es hält sich nur durch den
Ausdruck, den Ton und die Manier.

Ein Mann ist treuer dem Geheimniß Anderer als
seinem eigenen; ein Weib, im Gegentheil, bewahrt besser
ihr Geheimniß, als das Anderer.

Manche junge Personen kennen nicht genug die Vor-
teile einer glücklichen Natur, und wie sehr es ihnen
nützlich wäre, sich diesen zu überlassen. Sic schwächen
diese so seltenen und so vergänglichen Geschenke des Him-
mels durch affektirte Manieren und eine schlechte Nach-
ahmung. Ihr Ton der Stimme und ihr Gang sind ent-
lehnt; sie nehmen eine gewisse Miene an, künsteln sich
ab, beobachten im Spiegel, ob sic sich hinlänglich weit
von ihrer eigensten Natur entfernen; — es kostet sie
Mühe genug weniger als sie könnten, zu gefallen.

Man nährt sich von den Alten und guten Neueren;
man drückt sie aus, man entzieht ihnen so viel man kann
nnd füllt damit seine Werke; und wenn man endlich Autor
ist und ganz allein gehen zu können glaubt, erhebt man
sich gegen sie oder mißhandelt sie, ähnlich jenen von einer-
guten Milch, die sie genossen haben, munteren und star-
ken Kindern, welche ihre Amme schlagen. — Wem siele
hiebei nicht der zelotische Eifer wider die alten Klassiker
und die neuen Naturwissenschaften ein? vr. L—n.

Biologisches.
Siemers in seinen trefflichen, den Lesern bestens zu
empfehlenden „Vorlesungen über Anthropologie, Physiolo-
gie und Diätetik" äußert sich über den ziemlich verbreiteten
Aberglauben, daß, wenn Dreizehn am Tische sitzen, einer
von ihnen im Laufe des Jahres sterben müsse: „Die
Wahrheit dieses Satzes ist nur an eine kleine Nebenbedin-
gung geknüpft, nämlich an die, daß keiner von den Tisch-
genossen unter 71 Jahr alt sei. Unter dieser Voraus-
setzung sterben allerdings im Laufe der nächsten zwölf Mo-
nate nach der Liste für Belgien von 1279 Männern 95
oder ungefähr einer von dreizehn."
Vegetabilische ober animalische Nahrung?
Bekanntlich verliert auch der gezähmte Tiger nie eine
gewisse Tücke, und Thierbändiger und Thierwärter trauen
ihm nie ganz. Doch kennt man anch Ausnahmen, und
so erzählt Wegener von dem Tiger eines indischen Fürsten,
der so zahm gewesen, daß die Kinder mit ihm spielten.
Dieser Tiger sei von einem Brahminen aufgezogen wor-
den, und zwar nach Sitte derselben, ohne Fleischnahrung,
meistens mit Milch. Nicht die Fleischnahrung an sich
macht wohl wild, sondern die Art und Weise, in der sich
fleischfressende Thiere ihre Nahrung meist erkämpfen müs-
sen. In England besteht gleichwohl seit 1847 eine bereits
ziemlich zahlreiche Gesellschaft, die Veo-etarmn Society,
welche aus jenem Grunde die Fleischnahrung verbietet.
Wer dächte hiebei nicht an Schiller's „Milch der frommen
Denkart?" Jndeß halten es die Mitglieder jener Gesell-
schaft mehr mit dem Wassertrinken, und führen für ihre
Enthaltung vom Fleische eine Menge Gründe, anatomische,
physiologische, biblische, moralische und ökonomische an.
Die ersteren sind nicht stichhaltig. Der Mensch ist nach
seinem Zahnapparat, der aus den Zahnformen der Fleisch-
und Pflanzenfresser gemischt ist, so wie nach der Beschaf-
fenheit seines Nahrungskanals, welcher die Mitte zwischen
beiden Arten von Säugethieren einhält, auf beiderlei Nah-
rungsmittel, thierische und vegetabilische, angewiesen.
__vr. L—n.
 
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