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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

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Der gespenstige Organist
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Rosenhahn, Max: Aus einem Musikantenleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.45118#0096

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72

Wohl oder Wehe seiner Familie unwiderruflich entschei-
den sollte, immer näher heran rückte, stand dem armen
Manne sein Unternehmen plötzlich wie ein ungeheures
Wagniß vor Augen.
Mit der Wirklichkeit, der er nun in's Angesicht sah,
fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, und er fühlte
centncrschwer die Unmöglichkeit eines glücklichen Gelin-
gens auf sich lasten. Aber das Loos war geworfen; er
mußte vorwärts, der Entscheidung seines Schicksals ent-
gegen. Die Hand aus's Herz gelegt, dessen mächtige
Schläge die Brust zu zersprengen drohten, drückt er sei-
nem leidenden Weibe die Hand, küßte seine halbnackten
Kleinen und trat, das Auge von heißen Thränen gerö-
thet, den schweren Gang mit bangen Ahnungen und wan-
kenden Schritten an.
Als er die von Menschen gefüllte Kirche erblickte,
die verschiedenen Vorgesezten und Sachverständigen auf
den Plätzen im Chore, die ihm theils mitleidige, meistens
aber höhnende Blicke zuwarsen, da wurde es ihm schwarz
vor den Augen vor Beklemmung, er zitterte am ganzen
Leibe wie ein Verbrecher, der zum Richtplatz geführt
wird, und der Anblick des Hochgerichts kann jenem nicht
fürchterlicher erscheinen, als diesem jczt die Orgel.
Fast besinnungslos, mit bleichem Antlitz wankte er
hervor und machte tiefe Verbeugungen nach allen Seiten
hin, — dann sezte er sich zur Orgel nieder. Jene oft
genannte Fuge wurde in dem Notenhcfte aufgeschlagen.
Er begann. Aber, wie vorauszuschen war, er brachte
kaum eine Reihe von Takten heraus, dann mußte er
aufhören. Schmerzvoll, in tiefer Schaam und Verzweif-

lung ließ er die Hände sinken und saß da, auf das
Pedal blickend, starr wie eine Bildsäule.
Da nahten sich ihm Einige und raunten ihm mit
lächelnder Miene Glückwünsche zu; — und er sprang
auf und floh mit scheuen Blicken davon; aber draußen
umfing ihn die tobende lustige Menge und zog ihm nach
und verfolgte ihn mit Stichelreden und giftigen Gratu-
lationsreden bis an feine ärmliche Wohnung, wo das
Geschrei und Lachen kein Ende nehmen wollte, bis die
Polizei einschritt und das Gesindel verjagte.
In die Stube stürzend wie ein geheztes Wild (denn
der Arme hatte von dem Allem nichts vernommen), sank
er hin auf das Bett feines kranken Weibes, und verfiel
kurz darauf in heftige Fieberphantasieen. Bald aber
raste in ihm völliger Wahnsinn, so daß er bewacht und
gebunden werden mußte.
Nach einiger Zeit schien sich dieser grauenvolle Zu-
stand in stille Melancholie zu verwandeln, und man be-
stellte ihm keinen Wächter mehr. Wahrscheinlich kehrte
der Paroxismus unvermuthet in jener Nacht, von der
ich Euch erzählte, in verstärktem Grade zurück. Er
nimmt die Schlüssel, läuft auf den Thurm und zieht an
dem Glockcnstrang, dessen Läuten mich herbeirief. Der-
selbe Schall bestimmte mehrere andere Bewohner des Städt-
chens, die zufällig wach waren, nach der Kirche zu eilen,
wo sie mich besinnungslos am Boden liegen fanden.
Ich ging aus jener Nacht zu neuem Leben hervor;
ihm gab sie den lindernden Tod. Vor der Thüre sei-
ner Wohnung fand ihn fein ältester Sohn am nämlichen
Morgen. Der Aermste war erfroren. —


Kus einem Mnsikantenleben.
Von
MsfeMhMtzW.

1. Wer Ilie sein Drod mit Thränen aß.
Der Frühling des Jahres 1755 erschien sür Königs-
berg in all' seinen Reizen und hatte dießmal in seinem
Gefolge noch eine Reihe seltener Jubeltage. Man
zählte nämlich gerade 500 Jahre seit der Zeit, daß Kö-
nig Ottokar durch Erbauung der Burg Königsberg den
Grund zu der blühenden und für das ganze Preußen-
land so wichtigen Residenz- und Handelsstadt gelegt
hatte. In allen Gotteshäusern der Stadt wurde am
4. Mai jenes Jahres diese frohe Mär' den zahlreich vcr-
-

sammelten frommen Betern mitgetheilt, und mit einer
um so größern Freude feierten die Bürger Königsbergs
dieses Fest, denn es herrschte Friede im Lande und
man konnte nun zum ersten Male diese Jubelfeier un-
gestört begehen. Früher hatte immer, wenn nach Ver-
lauf von neuen hundert Jahren der Jubel dieses Festes
in die Gemüther einziehen wollte, der Geist der Zwie-
tracht und der Kriegsunruhe jeden Gedanken an Scherz
und Kurzweil verbannt. Um so lauter sprach sich jezt
das Gefühl der Wonne und die Segnung einer Vater-
stadt ans, welche sich trotz aller Stürme zu einem
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