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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 2.1853

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Wöhrn, G.: Die Familie Zopf
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Poetische Blumenlese
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https://doi.org/10.11588/diglit.45118#0103

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79

während leztercr mit den Jahren ab nimmt und zulezt
ganz verschwindet, wogegen man aber hinwieder
einen Zopf künstlich ersetzen kann, während der
Verlust des Zopses für Viele ein un ersetzlich er wäre.
Ein Zopf ist sehr bieg- und schmiegsam, läßt sich
sogar gelegenheitlich um den Finger wickeln, und nimmt
jede Gestalt an, die man ihm gibt; der Zopf aber wird
selbst der äußersten Gewalt nicht völlig weichen und
wenn man ihn in die kleinste Phiole bannte, er wird
alsbald als Riesengeist wieder daraus hervorsteigen.
Nach manchen Drangsalen ist der Zopf nunmehr
wieder in feiner vollen Glorie; er steht in der Blut he,
hat er abgeblüht, so sezt er Früchte an, und sind diese
gereift, so braucht man sie nur aufzulesen, sie fallen von
selbst ab, sie werden aber wohl alle wurmstichig sein
und vielleicht auch bald faulen.
Der Zopf hat eine sehr große Familie, die auf der
ganzen civilisirten Welt verbreitet ist; seine älteste Toch-
ter heißt Unwissenheit, und ist mit Herrn Eigen-
dünkel glücklich verheirathet. Sein Sohn Blödsinn

zieht als Missionär in der Welt herum und verbreitet
des Vaters Ruhm. Die Drillingsschwestern Schwach-
heit, Gewohnheit und Dummheit sind derzeit noch
unverheirathet, und fungircn abwechselnd als Sekretäre
des Vaters; sie schreiben Alles haarklein nicht nur auf's
Papier, sondern in ihre Herzen, was Papa Zopf ihnen
diktirt. Der Vetter Neid, ein hektischer, grämlicher
Mann, der nebenbei auch an der Galle laborirt, be-
wirbt sich sehr angelegentlich um Fräulein Bosheit,
Zops's Enkelin, eine Frucht der Ehe seiner ältesten
Tochter. — -
Wollte ich die ganze Familie bei Namen aufführen,
so wäre das zu weitläufig und würde ermüden. Ich
schließe meine Betrachtung mit der Anficht, daß die lieb-
lichen Trägerinnen eines Zopfes, die Vorzüge desselben
vor dem Zopfe wohl schon längst erkannt haben werden,
was zwar leider auf eine Gemüthsverändcrung des lez-
tern keinen Einfluß haben wird, der sich gar Nichts dar-
aus macht, sogar das zarte Geschlecht in seinen Rechten
zu verletzen.

Poetische Blumenlese.

Frühmette und Vesper.
G h a se l.
Mein Herz,-und weißt du noch nach so viel Tagen,
Wie du gelauscht in träumendem Behagen,
Als die Frühmette lautete die Liebe? -—
Wie milde Stern' am Morgenhimmel ragen,
So funkelten mir noch der Kindheit Bilder;
Aufschauernd horcht' ich mehr und mehr mit Zagen,
Je stärker mir der Klang die Sinn' umrauschte;
Es spielte mir um's Ohr, wie Wellenschlägen,
Wenn unterm Wasser tief das Haupt geborgen.
Im Dome war's, wo knieend Beter lagen,
Ich selbst in brünst'ger Andacht hingeworfen,
Nur scheue Blicke dürft ich seitwärts wagen,
Wo Sie die heil'gen Stufen flehend küßte.
Was wir gefleht, ich kann es nimmer sagen,
Luft, Athem war Gebeteshauch geworden.
Doch Plötzlich rasselt dumpf des Sturmes Wagen;
Des Domes Scheiben klirren, Kreuze stöhnen,
Kobolde steigen aus den Wänden, jagen
In tollen Sprüngen durch die heil'gen Räume,
Auf rothen Qualmes Fittigen getragen.
Ich schrie mich wach, da war der Spuk zerstoben;
Todtstill >— kein Laut — nur tief versunk'nes Klagen —
Ich stand allein — auch Sie spurlos verschwunden!

Wie lang' ich stand, muß ich mich selber fragen
Und weiß es nicht. Ein Glöcklein hallte wieder
Vom Thurm >— — der Liebe Vesper hat geschlagen!
L. S.

Sitte.
Wenn ihr ein holdes Röschen seht
In jugendlichem Purpurglüh'n,
O, pflückt das Röslein nicht und geht
Und laßt es weiter, weiter blüh'n.
Ihr kennet nicht den herben Schmerz,
Das tiefe Leid in Röschens Brust,
Daß es verbluten soll sein Herz,
Noch in der Jugend Maienlust.
Ihr glaubt wohl, es sei süßer Duft,
Der lieblich seinem Schooß entflieht? —
Der Blätterschooß ist Todtengruft,
Der Duft ist Rösleins Schwanenlied.
Drum wenn in lichtem Frühlingskleid,
Ihr hold ein Röschen blühen seht,
So pflückt es nicht, es kommt die Zeit,
Wo auch des Rösleins Duft verweht.
H. Bührlen.
 
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